Druidenherz
konnte ich dich auch retten.«
Unwillkürlich sah sie auf ihren Arm. Die Wunde verheilte gut, aber sie wusste selbst, dass sie in Lebensgefahr gewesen war. Der Blutverlust, die Infektion, das hohe Fieber. Es erschien ihr geradezu unglaublich, dass sie überlebt hatte, ohne ihren Arm einzubüßen. »Wer bist du?«
»Ich bin Dian McArtair, Druide, Wanderer und Herr über diesen Teil Annwns.«
Sie dachte an seine Kenntnisse der Heilkunst und auch an die Musikinstrumente. Ganz eindeutig hatte er auf beiden Gebieten viel Wissen angesammelt. »In der alten Tradition ausgebildet?«
»Sagt man das so in deiner Welt?«
»Ja. So ungefähr. Was für eine Ausbildung hast du bekommen?«
»Mein Lehrmeister unterrichtete mich in der Heilkunde. Das schließt auch die Magie ein, wobei ich da noch einiges anderes lernte. Zum Beispiel, mich gegen Fomore und andere finstere Gestalten zu verteidigen, durch körperliche und magische Fähigkeiten.«
Imogen presste sich eine Hand gegen die Stirn. »Nicht so schnell, bitte. Willst du etwa sagen, dass es hier auch Dämonen gibt?«
»Nicht genau hier. Aber wir sind auch in einem sehr sicheren Teil Annwns, über den ich entsprechende Schutzzauber gewoben habe, damit niemand in meine Räume gelangen kann, wenn ich es ihm nicht erlaube. Dir kann nichts passieren. Ja, ich weiß, die Hunde haben dich verletzt, doch da warst du in einem Vorraum. Sie sind Wächter. Dass sie jemanden beißen, sollte nicht geschehen, aber Carney und Beathan sind leider nicht besonders verantwortungsbewusst. Doch sie werden dir nie wieder etwas tun. Sie wissen, dass du nun unter meinem Schutz stehst. Niemand hier wird sich gegen eine Frau stellen, die an meiner Seite ist. Oder sie anzugreifen versuchen.«
Obwohl seine Stimme beruhigend klang, war Imogen alles andere als besänftigt. »Aber wieso bin ich hier? Du hast selbst gesagt, dass ich keine magischen Fähigkeiten besitze – und davon bin ich ebenfalls überzeugt.«
»Ja, das ist es ja, was mich so verwundert. Normalerweise sind die Tore nach Annwn für Menschen unsichtbar. Gibt es in deiner Familie vielleicht jemanden, der magisch begabt ist? Oder ein Vorfahr, der es war?«
»Nein. Jedenfalls nicht dass ich wüsste. Tante Mable ist die vernünftigste Person, die ich kenne. Sie ist kein bisschen abergläubisch, nicht religiös und gibt auch nichts auf irgendwelche Prophezeiungen.«
»Und deine Eltern?«
»Meine Mutter starb, als ich noch ein Baby war. Ich hab keinerlei Erinnerungen an sie. Aber wenn sie magisch begabt gewesen wäre, hätte Tante Mable mir das ganz sicher erzählt. Sie hat mir viel von ihr erzählt.« Imogen rief sich die Fotos ins Gedächtnis. Tante Mable besaß mehrere Alben, in denen sie mit ihrer Schwester und ihren Eltern verewigt war. Da Imogens Mutter so jung gestorben war, stammten die meisten Bilder aus ihren Kinder-und Teenagertagen. Sie war ja erst neunzehn gewesen, als Imogen zur Welt kam. Das machte es ihr schwer, sich das sommersprossige Mädchen als erwachsene Frau und noch dazu als ihre Mutter vorzustellen.
»Wie ist sie gestorben?«
»Ein betrunkener Autofahrer übersah sie, als sie im Morgengrauen mit dem Fahrrad unterwegs zur Arbeit war. Sie trug Zeitungen aus. Durch das Erbe meiner Großeltern hätte sie nicht arbeiten müssen, wollte es aber. Tante Mable hat mir erzählt, dass meine Mutter nach meiner Geburt plötzlich sehr verantwortungsbewusst wurde, sie suchte sich allein einen Job und ging wieder zur Schule, während Tante Mable auf mich aufpasste. Da aufgrund des Erbes genügend Geld vorhanden war, blieb Tante Mable zu Hause, damit sich meine Mutter ganz auf ihre eigene Ausbildung konzentrieren konnte. Sie wollte einen Abschluss machen und dann studieren. Es war ihr Traum, Journalistin zu werden.« Imogen spürte die altbekannte Trauer, gemischt mit Bedauern, dass sie alles nur durch Erzählungen und nicht durch eigene Erinnerungen wusste. Sie sah Dian an, dass er nicht alles verstanden hatte. Aber sie wollte nicht mehr erklären. Es tat schon weh genug, überhaupt darüber zu sprechen. Sie fühlte sich so allein, so verlassen von allen, die sie liebte. Energisch rief sie sich zur Ordnung.
»Und dein Vater?«, hakte Dian nach einem Moment der Stille nach.
»Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, wer er war oder ist. Meine Mutter hat seinen Namen nie verraten. Nicht einmal Tante Mable kennt ihn und hat auch keine Ahnung, wer es sein könnte. Bis sie feststellte, dass sie schwanger war, hatte meine Mutter nur
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