Druidenherz
wenig Kontakt zu ihr. Ansonsten habe ich keine Verwandten, jedenfalls keine nahen. Tante Mable hat mich aufgezogen. Sie ist meine Familie.« Vor Sehnsucht nach ihr zog sich Imogens Herz zusammen. Der Gedanke, sie vielleicht nie wiederzusehen, tat schrecklich weh. Nein, so weit würde es nicht kommen. Sie würde das hier durchstehen und irgendwann mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf diese Zeit zurückblicken.
»Es könnte also sein, dass unter deinen Ahnen jemand ist, der magisch begabt war. Vielleicht sogar deine Eltern.«
»Das wäre doch aufgefallen. Ganz besonders, wenn es meine Mutter gewesen wäre. Sie hat bei Tante Mable gewohnt, ich bin in ihrem Haus zur Welt gekommen. Mutter war vier Jahre jünger als Tante Mable. Meine Großeltern kamen bei einem Autounfall ums Leben, als meine Mutter gerade sechzehn war. Damals hat Tante Mable für sie die Vormundschaft übernommen, weil sie als ältere Schwester die nächste Verwandte war. Mutter war als Jugendliche wohl viel unterwegs, eine Zeit lang war sie fort, dann tauchte sie schwanger bei Tante Mable wieder auf. Natürlich unterstützte sie meine Mutter und half ihr, besonders, als ich dann zur Welt kam. Aber wenn da irgendeine … Magie im Spiel gewesen wäre, hätte Tante Mable es bestimmt gewusst.« Und obwohl sie ihren Vater nicht kannte, hielt sie es für ausgeschlossen, dass er magische Fähigkeiten besessen hatte. Weil es Magie einfach nicht gab.
»Es äußert sich nicht immer sofort und auch nicht immer deutlich. Manche haben Träume oder Vorahnungen, messen ihnen aber keinerlei Bedeutung zu. Gut möglich, dass dein Vater dir diese Fähigkeiten vererbt hat – ganz ohne dass er selbst von ihnen wusste. Oder deine Mutter. Wenn sie so jung starb, hat sie es vielleicht gar nicht gewusst. Oder gemerkt, aber nicht ernst genommen. Das geht vielen so. Sie haben eine Vorahnung und tun sie als Zufall ab. Oder sie träumen etwas und erklären es sich dadurch, dass ihnen jemand mal genau so etwas erzählt haben muss, sie sich nur gerade nicht an die Gelegenheit erinnern können und auch nicht wissen, wer es war.«
Imogen fielen ihre eigenen Träume ein. »Na ja, man träumt so vieles …«
»Was hast du geträumt?«
»Nichts von Bedeutung. Außerdem zählt das nicht, denn ich habe mich durch mein Studium und schon vorher sehr viel mit der keltischen Geschichte und Mythologie beschäftigt. Da weiß ich also ganz genau, wo ich was gelesen oder gesehen habe.«
»Vielleicht war es doch mehr als ein Traum. Manchmal erinnert man sich im Traum an vergangene Leben.«
Imogen schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Reinkarnation.« Auch wenn sie zugeben musste, dass ihr der Gedanke gefiel. Denn das würde bedeuten, dass auch ihre Mutter irgendwann wiedergeboren würde. Imogen hatte sich oft gefragt, wie sie heute wohl aussehen würde, wenn sie noch leben würde. Auf den alten Fotos hatte große Ähnlichkeit zwischen Tante Mable und ihr bestanden, auch wenn ihre Tante immer ein wenig rundlicher war.
»Viele glauben nicht daran – aber vor allem deshalb, weil sie sich nicht erinnern oder Erinnerungen an frühere Leben als Zufall abtun. Oder nicht einmal bemerken, dass es Erinnerungen sind. Manchmal kommen sie in Träumen, manchmal als Gedankenfetzen.«
Unwillkürlich standen Imogen die Traumbilder im Kopf. Für sie war beim Aufwachen stets klar gewesen, dass es bloß ein Traum war. Was sonst? Außerdem hatte sie sich wirklich viel mit keltischer Geschichte beschäftigt, sodass es nicht weiter verwunderte, wenn sie davon träumte. Trotzdem war dieser eine Traum so viel realer gewesen als jeder andere. Immer noch erinnerte sie sich an jedes Detail, auch daran, wie ihr das Messer in die Brust gestoßen wurde und sie starb. Aber an Wiedergeburt wollte sie dennoch nicht glauben.
»Erzähl mir von deinem Traum«, forderte Dian sie auf.
Stand es ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben? Sie seufzte und nahm sich vor, ihre Emotionen besser unter Kontrolle zu halten. »Es war nichts Spektakuläres. Ich war auf einem keltischen Fest, zu einer Zeit, in der die Christianisierung herrschte. Entsprechend gab es Störungen durch christliche Priester. Aber darüber habe ich mehrere Vorlesungen gehört und mich sehr intensiv mit dem Thema befasst. Der Traum kam erst später.«
»Wieso versuchst du so unbedingt, eine andere Erklärung zu finden?«, fragte Dian ruhig.
»Weil es eine ganz einfache Erklärung dafür gibt. Man träumt nun mal öfter Sachen, die man erlebt
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