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Drunter und Drüber

Titel: Drunter und Drüber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Andersen
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legte die Tasche neben sich auf die Decke und öffnete den ersten der versiegelten Briefe.
    Er war ähnlich wie die wenigen Briefe, die er nach seinem Auszug bei Edwina noch gelesen hatte, und er presste die Lippen aufeinander. Sie schrieb, dass sie ihm einen Diebstahl, den er nie begangen hatte, großmütig verzieh.
    Oder vielleicht nicht?
    Er las den Brief noch einmal, diesmal mit den Augen eines Mannes, statt mit den Augen eines verletzten, verbitterten Jungen. Nun wurde ihm bewusst, dass das möglicherweise anders gemeint war. Er starrte auf Edwinas krakelige, altmodische Handschrift.
    Ich habe an mich selbst immer die höchsten Ansprüche gestellt. Aber jetzt wird mir bewusst, dass wir alle Fehler machen und dass man im Bruchteil einer Sekunde ein falsches Urteil fällen kann – das einen von dem Moment an für alle Zeit verfolgt. Komm heim, J.D. Bitte. Gib uns die Chance, diese ganze unselige Geschichte endlich zu begraben.
    Als Junge hatte er die Worte so verstanden, dass sie die höchsten Ansprüche an ihr eigenes Verhalten stellte, ohne zu erwarten, dass er diesen Ansprüchen ebenfalls genügte. Er hatte daraus geschlossen, ihrer Meinung nach könne er diese Erwartungen sowieso niemals erfüllen, aber sie nähme ihn großmütig trotzdem wieder bei sich auf.
    Als Erwachsener erkannte er, dass ihre Worte anders verstanden werden mussten. Der Ton des Schreibens war viel trauriger als er ihm erinnerlich gewesen war. Erfüllt von einem seltsamen, schmerzhaften Bedauern, dass er etwas so Wertvolles durch eigene Dummheit ignoriert hatte, griff er nach dem zweiten Brief, öffnete den Umschlag und zog das einzelne Blatt teuren Büttenpapiers vorsichtig heraus.
    Mein lieber J.D.,
ich hätte nicht geglaubt, dass es möglich ist, die Umstände unseres Auseinandergehens noch mehr zu bedauern als ich es bereits tat. Dann wurde heute Morgen die Uhr meines geliebten Vaters tief zwischen den Kissen der Chaiselongue in seinem Arbeitszimmer entdeckt. Mein Liebling, es tut mir so entsetzlich Leid, dass ich auch nur eine Sekunde an dir gezweifelt habe. Bitte, bitte vergib mir und komm heim. Oder ruf mich wenigstens an. Wir müssen miteinander reden.
Deine dich liebende Edwina
    Mit eng gewordener Kehle las J.D. auch die anderen Briefe durch, Botschaften, die ihm von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gefolgt waren. Einige der Schreiben hatten ihn sofort erreicht, andere hatten eine Reihe von Nachsendeadressen auf den Umschlägen vermerkt.
    Er bedauerte zutiefst, nicht einen Einzigen dieser Briefe aufgemacht zu haben. Um seiner selbst und um Edwinas willen. Er hatte Jahres seines Lebens damit zugebracht, verletzt und wütend auf sie zu sein ... und das vollkommen ohne Grund. Immer wieder bat sie ihn um Verzeihung, immer wieder versicherte sie ihm ihre Liebe, und während er im Schlafzimmer einer der Hütten saß, die sie ihm hinterlassen hatte, gestand er sich endlich ein, dass er vielleicht nicht ganz so unschuldig an dieser bitteren Geschichte war. Denn er selbst hatte Edward Lawrences Uhr versehentlich auf der Lehne der Chaiselongue zurückgelassen, von wo aus sie dann zwischen die Kissen gerutscht war.
    Schlimmer noch: Er hatte mit der Arroganz der Jugend unmögliche Ansprüche an Edwina gestellt. Er hatte ihr vorgeworfen, ihm nicht zu vertrauen, hatte ihr selbst jedoch nicht das geringste Vertrauen geschenkt. Auf ihre Frage nach der Uhr hatte er, statt einfach zu erklären, er wisse nicht, wo das kostbare Stück geblieben war, starrsinnig die Lippen aufeinander gepresst. Und war, statt darauf zu vertrauen, dass das Missverständnis aufgeklärt würde, beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten feige davongelaufen.
    Plötzlich verspürte er das dringende Bedürfnis, mit Dru zusammen zu sein. In Vorfreude auf ihr Verständnis und ihre Wärme legte er die Briefe wieder in die Tasche und wandte sich zum Gehen.
    Es war geradezu teuflisch, statt der jahrelangen Überzeugung, ungerecht behandelt worden zu sein, der plötzlichen Erkenntnis gegenüberzustehen, dass man gravierende Fehler gemacht hatte.

22
    A ls jemand an die Tür ihres Apartments klopfte, als hätte sie seit mindestens drei Monaten keine Miete mehr bezahlt, riss Dru sie in der Erwartung, J.D. im Flur stehen zu sehen, eilig auf. An seiner Stelle jedoch lehnte Char mit halb geschlossenen Augen und viel zu schlaff, um derart laut geklopft zu haben, an der gegenüberliegenden Wand.
    Sie bedachte Dru mit einem träumerischen Lächeln. »Hallo, Fremde.«
    Dru starrte sie mit

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