Drunter und Drüber
Ich habe zeit meines Erwachsenenlebens beruflich mit Menschen zu tun gehabt, so dass ich einen guten Mann erkenne, wenn ich einen sehe.«
»Ja, genau«, erklärte er erbost. »Hat dich der heutige Nachmittag denn nicht das Mindeste gelehrt, Drucilla? Ich bin kein Mann, in den man allzu viel Vertrauen setzen sollte.«
»Was für ein absoluter Schwachsinn! Darüber haben wir doch bereits hinlänglich gesprochen.« Sie streckte die Hand nach seiner nackten Brust aus und strich mit ihren Fingern über die harten, warmen Muskeln. »Ich kann es einfach nicht verstehen. Warum weist du jeden Menschen zurück, der dir jemals nahe kommen will?«
»Weil ich dadurch Zeit spare!« Vor lauter Frustration raufte er sich die Haare. »Denkst du, ich hätte nie Nähe zu einem Menschen haben wollen? Meinst du, ich hätte es nicht schon versucht? Tja, ich habe es nicht nur gewollt, ich habe mir sogar die allergrößte Mühe gegeben, in der Hoffnung, dass ich eventuell einmal das fände, was ein paar glücklichen anderen Menschen zuteil geworden ist. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass jede Beziehung – mag der Anfang auch noch so viel versprechend sein – am Ende doch nur zerbricht.« »Und weshalb glaubst du, dass das auch in Zukunft so weitergehen muss?«
»Um Himmels willen, Drucilla – werd endlich erwachsen.« Er schüttelte den Kopf, sah sie bedauernd an, streckte die Hände aus und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Dann vergrub er die Finger in den dichten Strähnen hinter ihren Ohren und fuhr mit seinem Daumen ihre Wangenknochen nach. »Nein, vergiss, dass ich das gesagt habe. Du hast es verdient, dir deinen großäugigen Optimismus so lange wie möglich zu bewahren. Aber ich warne dich: Wenn du weiter mit mir zu tun hast, wirst du ihn unweigerlich verlieren. Und wirst mich ganz sicher mit anderen Augen sehen. Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass es früher oder später allen so mit mir geht.«
»Tja, ich bin nicht alle, und ich habe nicht die Absicht, dich irgendwann mit anderen Augen zu sehen.«
Sie hasste die zynische Ungläubigkeit, mit der er sie musterte, weshalb sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihn sanft zu küssen. Sie umfasste seine Unterarme, um nicht die Balance zu verlieren, und spürte, dass sie so starr waren, als wären sie aus Holz. Sie lehnte den Kopf nach hinten und sah ihm in die Augen. »Wenn es eins gibt, das ich tun will, Carver, dann ist es schlichtweg mehr, als nur mit dir zu tun zu haben. Also siehst du besser zu, dass du dich an diese Vorstellung gewöhnst.«
Seinem Gesichtsausdruck zufolge war genau das seine Befürchtung. Um nicht zu weinen, tätschelte sie mit einem reumütigen Lachen seine starren Muskeln. »Du brauchst deshalb nicht so alarmiert zu gucken.«
»Verdammt, Dru, einer von uns beiden muss doch einen klaren Kopf behalten. Ich habe in meinem Leben Dinge getan, bei denen sich dir dein Magen umdrehen würde.«
»Wann?«, fragte sie. »Als du noch ein Kind warst? Denn du hast als Erwachsener nie auch nur wegen der kleinsten Kleinigkeit vor Gericht gestanden.«
»Woher willst du das wissen?«
»Als Edwina dir ihren Anteil an dem Hotel vererbt hat, haben wir dich genauso überprüft wie jeden anderen Bewerber für eine Spitzenposition in unserem Unternehmen. Du hast ein lupenreines Führungszeugnis. Also hör endlich auf zu versuchen, mich davon zu überzeugen, dass du so etwas wie ein Schwerverbrecher bist.« Sie fuhr mit ihren Knöcheln über seinen straffen Bauch. »Ich will dich nicht bedrängen. Und es ist nicht so, dass ich dich darum bitte, mit mir vor den Traualtar zu treten. Ich will einfach Zeit mit dir verbringen, okay?«
»Ja«, stimmte er vorsichtig zu. »Ich verbringe auch gern Zeit mit dir.«
Eine wohlige Wärme breitete sich in Drus Körper aus. »Siehst du. Dann denk, solange wir zusammen sind, einfach daran, dass ich, auch wenn ich dich erst seit kurzem kenne, eine ziemlich gute Menschenkenntnis habe, dass ich dich als das schätze, was du bist; und dass ich bereit bin, solange zu warten, bis du selbst dich ebenfalls zu schätzen lernst.«
Da wirst du lange warten müssen, war alles, was er denken konnte. Wie gern würde er ihr glauben. Doch er hatte halt etwas an sich, weshalb ihn früher oder später jeder Mensch verließ. Ihr jetzt zu glauben und später die unweigerliche Desillusionierung in ihren und auch in den Augen der anderen Lawrences entdecken zu müssen, hielte er nicht aus.
Also war alles, was er rausbrachte: »Ich werde es
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