Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Hauptwurzel und glühte noch einmal hell auf.
„Schnell, nimm es und stecke es in das Gefäß, bevor es aufhört zu leuchten“, gebot Myra.
Julie ergriff das seltsam warme, glatte Stückchen der Wurzel, öffnete den silbernen Deckel und steckte die Wurzel hinein. Sofort sprühten Funken aus dem Röhrchen, der ganze Inhalt schien zu brodeln.
„Der Deckel, mach ihn wieder zu, beeile dich!“, rief Myra. Und dann lachte sie, ein Lachen, das glockenhell für einen Moment das Bild der freundlichen Myra von früher heraufbeschwor. Julie hatte den Deckel bereits geschlossen, überrascht von dem Gelächter blickte sie auf. Da geschah es: Hunderte von kleinen Blüten sprossen aus den umstehenden Ästen, Blumen öffneten ihre Kelche und die Tiere begannen aufgeregt zu lärmen. Die alte Dryade hatte ihren Kummer abgelegt, die Zeit des Schmerzes war vorbei.
Julie wäre gern noch länger bei Myra geblieben, aber das schlechte Gewissen trieb sie zurück zum Lager. Sie hatte niemandem Bescheid gesagt, und morgen war der große Tag, hoffentlich hatte sich keiner Sorgen gemacht.
„Ich muss gehen, Großmutter, aber ich komme wieder“, versprach Julie.
„Geh ruhig, mein Kind, es geht mir gut“, gab die alte Baumfrau zurück. Die knochigen Schultern gestrafft, sah Myra Julie mit erhobenem Kopf nach, bis die frisch geweihte Baumfrau endgültig im Wald verschwand.
Julie hatte Glück, die anderen waren mit den Vorbereitungen beschäftigt und hatten sie nicht vermisst. Julie stellte ihre Schuhe vor das Zelt und trat in den behaglichen Vorraum. Er war leer, aufatmend ließ sie sich auf die weichen Teppiche sinken und nahm sich süßen Pfefferminztee. Julie fühlte sich fantastisch; es war kein Wunder, dass Dendra den ganzen Tag förmlich herumschwebte. Fröhlich und beflügelt ging Julie zu Bett, sie hatte keine Angst mehr vor dem kommenden Morgen.
Letzte Entscheidung
Am nächsten Tag wurden alle von lauten Gongschlägen geweckt. Ein Ausrufer ging durch die Häuserreihen und an den Zelten vorbei. Er war noch zu weit weg, man konnte nicht verstehen, was der Junge rief. Doch beim Näherkommen wurde es deutlicher. „Aus dem Bett ihr Leute! Der Tag der Auswahl ist da!“
Innerhalb kürzester Zeit herrschte in der ganzen Stadt eine Unruhe wie in einer Kinderstube am Weihnachtsmorgen. Immer noch munter, aber nicht ganz so ausgelassen wie am Vorabend erledigte Julie ihre morgendlichen Aufgaben. Ob das Pendel sie wählen würde? Swantje stand ja auch zur Wahl. Inzwischen war die Konkurrentin um das Amt deutlich schlanker als früher; die vielen Stunden des Trainings draußen an der frischen Luft hatten ihr eine leichte Bräune geschenkt. Seit Billes Tod war Swantje stiller geworden; sie hatte Julie nicht ein einziges Mal provoziert oder geärgert. Swantje war vernünftiger geworden – und geschickter. Julie musste sich eingestehen, dass Swantje inzwischen ganz passabel kämpfte. Wonach das Pendel wohl entschied? Suchte es die Stärkste aus? Julie war zwar kräftiger geworden, aber immer noch zierlich. Oder die mit der stärkeren Magie? Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf zu zerbrechen; sie würde es schon bald wissen.
Julie machte einen kleinen Rundgang und sah wie jeden Tag nach ihrem Vater. Sein Zustand war unverändert. Es tat weh, ihn so zu sehen. „Versprich mir, dass du vorsichtig bist, Kind!“
Julie versprach es, sonst sagte sie kaum etwas; sie brachte es noch nicht fertig ihrem Vater von dem Gespräch mit Dendra zu erzählen. Das würde sie nach der Auswahl tun. Julie erhob sich nach der üblichen Zeit, sie wollte ihren Vater nicht überanstrengen. „Ich will noch in den Stall zu Go, bis bald Papa.“ Eine kurze Umarmung, ein letzter Blick zurück, dann war Julie um die Ecke der Burg verschwunden.
Auch Mathys war mit seinen Vorbereitungen fertig, viel gab es an diesem Tag ohnehin nicht für ihn zu tun. Mit bittendem Blick trat er auf Julie zu. „Ich weiß, die Zeit ist knapp heute, und du bist sicher aufgeregt, aber können wir uns kurz irgendwohin zurückziehen? Ich wäre gerne noch ein bisschen mit dir alleine, bevor der ganze Trubel losgeht.“
Julie war das recht: „Gern, ich wollte sowieso zu Go, lass uns in den Wald reiten …“
Auf dem kurzen Weg in den Stall sprach keiner von ihnen. Verstohlen schlich sich Julies Hand in die von Mathys. Er erwiderte ihren sanften Druck, sah Julie aber nicht an. Julie blickte kurz zu ihm hoch, und was sie sah, machte sie froh: Mathys hatte ganz rote Ohren, und er
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