Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
nächsten Babybad: Auf der Schulter des Säuglings prangte ein Muttermal so groß wie eine Haselnuss. Lady Ricks hätte, als sie es bemerkte, schwören können, dass der Fleck vorher nicht da gewesen war. Obwohl sie von der Bedeutung des Zeichens auf der Schulter ihrer Tochter zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung hatte, fing Lady Ricks markerschütternd an zu schreien.
Alltag
Swantje Ricks von Schloss Dornum war ganz und gar eine Tochter ihrer Familie. Sie gab so an mit dem geerbten Familienvermögen, dass man hätte meinen können, sie habe es selbst erarbeitet. Einer ihrer Vorfahren, Thomas Ricks, hatte nach dem zweiten Weltkrieg Unmengen an Geld mit Butter-Ersatz aus billigen Pflanzenölen gemacht. Die Idee dazu war ihm gekommen, als er die teure Butter für den Schwarzmarkt gestreckt hatte. Er hatte schnell Erfolg, und so konnten die Ricks alles haben, was mit Geld zu kaufen war. Und Schloss Dornum stand zum Verkauf, weil der alte Adel, dem es gehörte, sich den Unterhalt des großen Schlosses nicht mehr leisten konnte. Frau Ricks, die mit Vornamen schlicht Margarete hieß, hatte schon mehrfach versucht, einen Fuß in die fest verschlossene Tür der feinen Gesellschaft zu bekommen – bis dahin vergeblich. So kam es, dass sie ihren Mann überredete, zumindest ein Schloss zu kaufen, wenn er schon nicht mit Adelstiteln aufwarten konnte. Von den Angestellten ließ sie sich „Lady Ricks“ nennen, auch wenn der von Frau Ricks gewünschte englische Titel nun wirklich nicht in die Gegend um das ostfriesische Schloss passte. Da die Angestellten aber froh waren, überhaupt Arbeit zu haben, taten sie der „Lady“ den Gefallen.
Swantje kam ganz nach ihrer Mutter. Ihre liebste Beschäftigung bestand darin, Bedienstete hin und her zu scheuchen; sie hatte schon mehr als ein Hausmädchen ganz bitterlich zum Weinen gebracht.
Als sie an diesem Morgen mit ihrem gar nicht zierlichen rosafarbenen Plüsch-Pantoffel nach Hector, ihrem Butler warf, war sie nicht gerade in bester Stimmung, obwohl sie am nächsten Tag Geburtstag hatte. So, wie es aussah, würde sie in der Schule sitzen bleiben. Und das bedeutete Ärger. Swantje konnte ihre Mutter sonst um den Finger wickeln, aber das würde Lady Ricks ihr nicht durchgehen lassen. Und dann hatte Hector noch zu der Reit-Kombination die falsche Gerte heraus gelegt; so etwas durfte man gar nicht erst einreißen lassen, davon war Swantje fest überzeugt.
Doch allen kleinen und großen Ärgernissen zum Trotz: Nichts an diesem wolkenlosen, sonnigen Morgen schien darauf hinzudeuten, dass sich Swantjes Leben schon bald von Grund auf ändern sollte. Sie war fast zwölf Jahre alt und besuchte das Privatgymnasium, eine reine Mädchenschule in kirchlicher Trägerschaft. Nicht, dass sie besonders intelligent gewesen wäre; ihre Familie war auch nicht besonders gläubig. Es war einfach die beste Schule am Ort, und für eine Ricks war das Beste gerade gut genug. Wenn man es genau nahm, waren ihre Noten von Anfang an nicht annähernd ausreichend für ein Gymnasium gewesen. Dies hatte, wollte man den bösen Gerüchten glauben, eine großzügige Spende seitens ihrer Eltern wieder ins Lot gebracht. Schließlich, so hörte es Swantje täglich, sei sie durch die außergewöhnlichen Umstände bei ihrer Geburt so etwas wie ein kleines Wunder und habe daher nur das Beste verdient. Dass Swantje an dem Mittsommertag ihrer Geburt nicht das einzige Wunder gewesen war, behielt Lady Ricks wohlweislich für sich.
Die eher blasse Swantje war groß und mollig, und ihre laute Stimme jagte ihrem zartgliedrigen Wallach Aristo regelmäßig einen Schrecken ein. Unmutig sah Swantje auf die teure Uhr auf ihrem Nachtschrank, es war schon fast zu spät für das, was sie vorhatte. Nur wenn sie sich richtig beeilte, schaffte sie noch einen kurzen Abstecher in den Stall. Ihre Klassenkameradin Julie mistete vor der Schule immer hier aus und war deshalb auch häufig spät dran. Und Swantje wollte auf keinen Fall den Moment verpassen, in dem die verschwitzte Julie in Richtung Schule rannte und sie selbst sich in das Auto mit dem Chauffeur setzte – das war einfach unbezahlbar! Also schwang sie sich mit der Anmut eines gichtkranken Seehundes aus dem Bett, zog sich den groß geblümten Morgenmantel an und ging in ihr eigenes Bad. Wie üblich schminkte sie sich, völlig außer Acht lassend, dass dies jeder, mit Ausnahme ihrer Mutter, absolut unpassend fand. Das auffällige Muttermal an ihrer rechten Schulter bekam
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