Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
lächelte verlegen. Es war schön, ihm etwas zu bedeuten.
Der Gager war schon seit Stunden wach und kümmerte sich um seine kleinen Lieblinge.
„Morgen, Julie Denes, großer Tag heute?“
„Ja, wir wollen noch einmal ausreiten, es spricht doch nichts dagegen?“, erkundigte sich Julie.
„Ganz und gar nicht, Reiten beruhigt!“, erwiderte die lange dürre Gestalt und verzog das Gesicht ein wenig. – Hatte der Gager ihr gerade tatsächlich zugezwinkert? Julie kicherte überreizt, auch bei ihr machte sich die Anspannung jetzt langsam bemerkbar. Ohne ein weiteres Wort holten Mathys und Julie ihre Pferde und machten sich auf den Weg in den Wald.
Zu der kleinen Lichtung, auf der Julie immer übte, war es nicht weit. Sie sattelten die Pferde nicht ab, sondern banden sie nur an dem ausladenden Ast einer Blutpflaume fest. Friedlich nebeneinander grasend hatten die Tiere ihre Besitzer bald vergessen. Julie und Mathys saßen zusammen im sonnenbeschienenen Gras, die Rücken an denselben knorrigen Stamm gelehnt.
„Mathys, ich muss dir etwas sagen …“
„Ich muss dir auch etwas sagen, aber fang’ du ruhig an“, sagte Mathys lächelnd.
Julie blinzelte nervös, was würde Mathys von ihren Neuigkeiten halten? „Ich, ähm, also, zu einem Teil bin ich … eine Baumfrau.“
„Das weiß ich doch!“ Mathys schnipste ein Stöckchen weg, er sah sie nicht an. Für einen Moment wurde Julie fast ein bisschen wütend. Hatte denn hier jeder Bescheid gewusst, nur sie selbst nicht? Doch mit Mathys nächsten Worten verpuffte die kurze Aufwallung. „Ich habe gleich heute Morgen gesehen, dass du die Kette der Dryaden trägst. Ich freue mich so für dich – und für uns. Das war es, was ich dir sagen wollte.“ Endlich blickte er auf, Julie versank fast in den tiefblauen Augen. „Wenn du Dryadenblut hast, und wenn du mich magst, muss ich nichts fürchten. Wenn eine Dryade sich entschieden hat, gibt es kein Zurück. Und ich bin mir auch sicher, dass du die Eine bist, die für mich bestimmt ist. Das wollte ich dir sagen.“
Julie spürte ein seltsames Glucksen in sich aufsteigen. Sie wäre gerne ein bisschen herumgehüpft oder hätte irgendetwas Albernes gerufen. Aber das wäre doch zu peinlich gewesen. Also schloss Julie die Augen und wandte ihr Gesicht den wärmenden Strahlen der Vormittagssonne zu. Mathys betrachtete Julie lange Zeit stumm. Schließlich beugte er sich vor und berührte Julies Lippen für einen winzigen Moment so vorsichtig, wie man einen Schmetterling berührt, mit den seinen. Julie ließ die Augen einfach geschlossen. Sie spürte es, genau wie Mathys; es war nicht nötig, etwas zu sagen. Sie hatten alle Zeit der Welt.
Den Rest des Tages verlebte Julie wie im Traum. Die Pferde zurückbringen, essen, baden, alles schien in einen glitzernden Zauber gehüllt zu sein, der keine Angst zuließ. Die Zeit bis zum Nachmittag verlief ruhiger als gewöhnlich, doch dann kam Anouk in Julies Zelt. Die Hüterin brachte die rituelle Kleidung, die zur Auswahl zu tragen war. Seit Anbeginn der Auswahl trugen die Anwärterinnen am entscheidenden Tag weiße Röcke, die streng genommen Hosen waren; in der Mitte waren zwei Beine abgeteilt, aber diese waren so weit, dass sie wie ein Rock fielen. Das Oberteil war ebenfalls weiß; mit seinen weiten Ärmeln und dem engen, gold und grün bestickten Brustteil sah Julie beinah aus wie ein Musketier, fand sie.
„Hast du den Trank?“, fragte Anouk. Siedend heiß durchfuhr Julie ein Schreck, der ihrer Hochstimmung ein jähes Ende bereitete. Sie hatte den fehlenden Trank total vergessen! Trotzdem nickte Julie; sie konnte doch jetzt nicht einfach aufhören.
„Gut“, sagte Anouk. „Wir treffen uns auf dem Burghof, wenn der Gong ertönt. Alle Einwohner schreiten als Prozession zu den Katakomben, dort findet die Auswahl statt.“
Anouk verabschiedete sich nach diesen Worten freundlich lächelnd, was Julies schlechtes Gewissen unerträglich machte. Sie biss sich in die Handknöchel. Was sollte, was konnte sie nur tun?
Zwischen Hoffen und Bangen rückte der Stand der Sonne immer weiter, die Zeit zur Prozession war gekommen. Anouk und Chris holten Julie ab und nahmen sie die wenigen Schritte bis zu der Prozessionsmenge, die erwartungsvoll auf Julie blickte, in die Mitte. Swantje wartete schon in der Menge; so blass hatte Julie sie schon lange nicht mehr gesehen. Ein wenig erinnerte der kurze Weg an die Spitze der Prozession Julie an den Gang zu einer Hinrichtung, woran Chris’ und
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