Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
begierig.
„Irgendwann zwischen heute und dem Ende des Schuljahres.“
„Heeector!“, brüllte die Lady, untermalt von hektischem Geklingel der Butlerglocke.
„Lady Ricks?“, entgegnete Hector, der sich die Ohren an der massiven Tür platt gelauscht hatte und dadurch sofort zur Stelle war.
„Ist meine Tochter schon in der Schule?“
„Nein, Lady Ricks, sie ist noch im Stall“, antwortete Hector mit unverhohlener Neugier in der Stimme, “soll ich sie holen?“
“Holen Sie sie her, meine Tochter verreist.“
Während Hector schon wieder so schnell lief, dass es sich gerade noch mit seiner Würde als gut ausgebildeter Butler vereinbaren ließ, schlief Swantjes Vater weiter den süßen Schlaf der Ahnungslosen.
Im Stall angekommen schallte es dem Butler bereits entgegen: “Gut, dass Sie da sind, bringen Sie mir die Kalbslederstiefel mit den Stulpen, ich habe es eilig!“ Herausfordernd stemmte Swantje die Hände in die Hüften; bei Widerworten würde sie sich die Zeit nehmen und dem Butler zum zweiten Mal an diesem Tag die Leviten lesen.
„Ihre Mutter möchte Sie sprechen“, kam es verdächtig gut gelaunt zurück, „es ist eilig!“
Alarmiert von der plötzlichen Fröhlichkeit des kurz zuvor noch so kleinlauten Butlers machte sich Swantje sofort auf den Weg. Zudem hatte sie ohnehin noch ein Wörtchen mit ihrer Mutter zu reden. „Einzigartig! Pah, selbst die dumme Julie Denes hat das gleiche Mal an der Schulter, das sind wohl eher Kuhflecken“, grummelte Swantje auf dem Weg vor sich hin.
Julie biss die Zähne zusammen, bis ihre schmalen Kieferknochen herausstanden, und blinzelte die aufsteigenden Tränen weg; es half ja nichts. Sie hatte alle Hände voll damit zu tun, die Stallgeräte wegzuräumen, um noch pünktlich zur Schule zu kommen. Gerade als sie fertig war, stand ein mittelgroßer blonder Mann vor ihr, für einen winzigen Moment eingehüllt in ein feines grünes Leuchten. Sie dachte noch „habe ich mich also doch nicht getäuscht“, als der Mann schon mit dunkler Stimme zu sprechen anfing: „Ich muss mit dir reden Julie; ich weiß, es ist Zeit für die Schule, aber es ist wichtig.“ Chris hatte sich gut überlegt, wie er Julie dazu bringen konnte, ihm zu folgen. Er hatte sofort nach Erhalt der Informationen gewusst, dass der einzige Weg, Julies Vater zu überzeugen, wohl über Julie selbst führte. „Wer sind Sie?“, fragte sie beunruhigt, „gehören Sie zum Schloss?“
„Nein“, erwiderte Chris beschwichtigend. Die besten Chancen hatte er sicher bei ihr, wenn er ehrlich war. „Ich komme von einem Ort Namens Tallyn. Ich möchte, dass du mir dahin folgst, weil das deine Bestimmung ist.“
Julie fing trotz ihrer gedrückten Stimmung an zu lachen. “Guter Witz“, prustete sie, “wer hat Sie denn dazu überredet? Ich hätte nicht gedacht, dass Erwachsene so etwas mitmachen. Sind Sie ein Freund meines Vaters?“
Verwirrt schüttelte Chris den Kopf; mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. „Aber wenigstens bricht sie nicht in Panik aus oder brüllt“, dachte er. Chris überlegte, ob sein Schützling wohl zu den wenigen Anwärterinnen gehörte, die die gefährliche letzte Prüfung überleben würden.
„Mein Name ist Chris. Das hier ist kein Witz“, erklärte Chris sanft, „du bist in der 238. Mittsommernacht geboren und gehörst damit zu den Mädchen, die ab ihrem zwölften Geburtstag magische Kräfte haben können. Dein Geburtsjahr ist ein ganz außergewöhnliches Jahr gewesen. Wer in diesem Jahr am Mittsommerfest geboren wurde, trägt ein besonderes Mal; du müsstest es auch haben.“
Julie wich das Blut aus dem Kopf, ihr war auf einmal schwindelig. Woher wusste jetzt auch noch der Fremde von dem Mal an ihrer Schulter? Ach ja, er war gewiss im Stall gewesen, sicher hatte er da das Muttermal gesehen.
Mitten in die neuerlich düsteren Gedanken hinein begann Chris wieder zu sprechen. „Tallyn ist eine uralte Stadt. Es gibt sie seit vielen Jahrhunderten, ich komme auch von dort. Die in Tallyn geborenen Menschen sind alle Magier; der Ort ist so voller Magie, dass sich das auf die Babys schon im Bauch überträgt. In eurer Welt werden nur jedes Viertel-Jahrtausend Mädchen geboren, die magische Fähigkeiten haben – in einer Mittsommernacht. Du bist eines von ihnen.“
Julie sank verblüfft auf einen Strohhaufen. Das war echt zu viel. Erst der Ärger mit Swantje und jetzt ein Typ, der ihr erzählte, sie sei eine Magierin und müsse mal eben in die magische Stadt.
Weitere Kostenlose Bücher