Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
an der er sich verwandelt hatte und zeigte auf das weiße Häufchen, „und daraus lässt sich ein zehnmal wirksamerer Trank brauen als aus meinen Haaren!“
Julie saß, das von den Anstrengungen der vergangenen Stunden verschwitzte Gesicht in den Armen verborgen, immer noch am Boden. Sie hing ihren trüben Gedanken nach und hatte gar nicht richtig mitbekommen, was Theoprast gesagt hatte. Sein mittelalterliches Deutsch klang zwar angenehm, aber ungewohnt, so dass sie schon sehr genau hätte hinhören müssen um ihn zu verstehen. Deshalb schaute sie verdutzt und leicht gekränkt, als Mathys plötzlich aufsprang und einen Freudentanz vollführte. Sogar Daan machte einen kleinen Hüpfer, ein Gefühlsausbruch, den man bei einem älteren oder reinrassigen Elfen wohl nicht zu sehen bekommen hätte.
„Kann sie es haben?“, fragte Mathys dann vorsichtshalber noch einmal nach.
„Sicher, ich brauche es nicht“, entgegnete Theoprast.
Während Daan das zerfallene Horn vorsichtig in die aus Rinden gefertigte ovale Dose rieseln ließ, die er zusammen mit den Kastanien in seinem Beutel hatte, beugte Mathys sich zu Julie herunter und umfasste ihre beiden Schultern.
„Freust du dich denn gar nicht?“
„W-Worüber denn?“, schluchzte Julie. „Ich habe nicht so richtig verstanden worum es geht …“
„Wir haben es Julie! Wir haben den Grundstoff für den Heiltrank! Horn oder Haare, ist doch egal, ist ja eigentlich das Gleiche!“ Mathys richtete sich auf und strahlte sie an. Eine heiße Woge der Erleichterung schwappte über Julie hinweg. Sie fand keine Worte, ließ es aber gerne zu, dass Mathys sie hochzog, fest packte und einmal im Kreis herumschwang. Jetzt heulte Julie nicht vor Angst, sondern vor Freude. „Ich kann also bleiben, ja?“
Bevor Mathys antworten konnte, erklang eine Stimme. Von allen unbemerkt war Chris aus dem Nichts auf der Lichtung erschienen. Er war einer der wenigen, die sich auch auf kurze Entfernungen ent- und re-materialisieren konnten.
„Ich wäre dankbar, wenn mir mal jemand erklären würde, wie ihr in diesen Wald kommt!“, dröhnte die Stimme von Chris dicht neben Mathys und Julie. Erschrocken fuhren die beiden auseinander. Daan, der inzwischen jeden Krümel sorgsam aufgelesen und in die Dose gelegt hatte, senkte schuldbewusst den Blick.
„Chris mein Freund, wie lange ist es her, dass ich mit Euch plaudern zu können das Vergnügen hatte“, mischte sich Theoprast, den die drei über den Schreck vergessen hatten, in das Gespräch ein. Chris umarmte Theoprast und hielt ihn dann auf Armeslänge von sich ab, um ihn zu mustern. „Theoprast, sei mir gegrüßt! Ich sehe, du hast jemanden gefunden, der dein schweres Los für eine Weile erleichtert hat. Wie geht es dir, was ist mit der Verletzung?“
„Das entzückende Fräulein dort hat mich geheilt, fast kam es mir vor, als sei Leowynn auferstanden, um sich meiner anzunehmen. Ich vermisse sie.“
„Ich auch, werter Freund, ich auch“, gab Chris zurück. Nach einem prüfenden Blick auf die erschöpfte Julie sprach er wieder zu allen drei Gefährten.
„Und ihr, meine Lieben, habt eine ganze Menge zu erklären, fürchte ich“, kündigte Chris an. Die drei senkten den Blick, als interessierten sie sich plötzlich brennend für die Nadeln auf dem Waldboden vor ihren Füßen.
Theoprast nahm Chris ein Stück zur Seite. „Gestattet Ihr mir, wieder auf der Burg zu nächtigen, bis der Vollmond mich ereilt?“
Chris nickte. „Gut, dass die drei darauf gekommen sind wie sie dich ein Weilchen erlösen können; ich wünschte, man könnte es nicht nur beim ersten Aufeinandertreffen tun, dann kämen wir häufiger in den Genuss deiner Gesellschaft. Sei unser Gast.“ Er ging zurück zu den Jugendlichen. „Lasst uns aufbrechen, die anderen warten und machen sich Sorgen.“
In der einsetzenden Dämmerung wirkte der Wald verwunschen. Leichte Nebelschwaden zogen in Bodennähe über das Unterholz, und die unerwarteten Rufe eines Käuzchens ließen Julies angegriffene Nerven vibrieren. Sie war ein mutiges Mädchen, aber dieser Tag hatte sie an ihre Grenzen gebracht. Froh über die Gesellschaft der anderen ging sie im Gänsemarsch mit durch den Wald. Der Hinweg war ihr nicht so lang vorgekommen, allerdings war sie da auch so in schmerzliche Gedanken versunken gewesen, dass sie kaum etwas mitbekommen hatte. Von der Heilung des Hirsch-Mannes fühlte sie sich immer noch ausgelaugt, und sie hatte solchen Hunger, dass ihr Bauch anfing zu knurren.
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