Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
einmal zu trinken. Anouk lächelte Julie angesichts deren entsetzten Gesichtsausdrucks aufmunternd an. „Keine Sorge, innerhalb der nächsten Schritte wird er weniger ätzend. – Der Trank muss jetzt eine Woche ruhen; wir schaffen es noch genau vor der Winterpause, den Trank fertigzustellen. Den Stein kannst du haben, als Federständer, aber warte einen Tag, bis die Reste verdunstet sind, sonst frisst es dir den Stiel weg.“
Julie nahm den Stein vorsichtig wie eine giftige Schlange in die Hand. Sie ärgerte sich ein bisschen. Eine Woche war eindeutig zu lang. Sie brachte den Stein in ihre Zelt- Kammer und machte sich dann auf den Weg zum Haus von Leung Jan.
Die anderen hatten gerade Pause gehabt und schwatzten noch munter. Das machte Julie nichts aus, die Arbeit mit Anouk hatte ihr Spaß gemacht. Fast alle Anwärterinnen hatten im Kampfkunstunterricht bei Leung Jan gute Fortschritte gemacht. Es gab nur ein oder zwei Mädchen, die einfach überhaupt nichts umsetzen konnten von dem, was der Kampfkunstmeister ihnen zeigte. Heute stand wieder ein Kampf mit Schutzausrüstung gegen eine der anderen Gruppen an. Julie war gespannt, gegen wen sie kämpfen sollte. Beim ersten Mal vor einigen Tagen hatte sie gegen Bille gekämpft. Julie war zwar in Bedrängnis gekommen, hatte sich aber wirklich gut gehalten, wenn man bedachte, wie früh Bille kämpfen gelernt hatte.
Als Julie um das Haus herumkam, standen die mit Reispapier bezogenen Türen des Trainingsraumes schon weit offen. Julie zog wie die anderen ihre Schuhe aus und setzte sich am Rand im Inneren auf eine der Reisstrohmatten neben Mathys und Daan. Sie blickte sorglos umher, denn der Gong zu Beginn des Unterrichtes war ganz sicher nicht zu überhören und bis jetzt noch nicht ertönt. Julie gefiel es hier, die sanften Töne des Raumes waren beruhigend. Der gesamte Boden war mit abgewetzten Tatamis ausgelegt; die in der Mitte, welche am meisten beansprucht wurden, waren wohl schon ausgetauscht worden: Im Gegensatz zu dem gelblichen Hellbraun der Randmatten waren die neueren Matten von einem zarten Seegrün und rochen kräftig nach Gras. Die Wände waren mit alten pergamentbespannten Fächern und papierenen Rollbildern geschmückt, deren Tuschezeichnungen schon leicht verblasst waren. An das Trainingsgerät in der Ecke, eine Art aufrecht stehenden Kirschenholz-Baumstamm mit hervorstehenden Holzarmen, den sie „Muk“ nannten, durften Julie und die anderen Anfänger nicht heran. Aber Julie hatte schon das eine oder andere Mal Daan oder Mathys vor dem eigentlichen Training daran arbeiten sehen. Julie selbst reizte dieses Gerät nicht zu sehr, denn es war schwingend aufgehängt und machte, wenn es bearbeitet wurde, ordentlich Lärm. Mitten in Julies Betrachtungen hinein ertönte der Gong; die Schüler erhoben sich und verbeugten sich wie vor jedem Training vor Leung Jan. Der Unterricht begann mit der Siu Nim Tau-Form, die dazu diente, die Grundbewegungen zu üben. Im Laufe der Zeit hatte Julie gemerkt, dass auch Leung Jan, Daan und Mathys diese Form noch regelmäßig trainierten, also tat sie es ihnen gerne nach. Etliche der anderen vernachlässigten die Siu Nim Tau, sahen sie verächtlich als Anfängerform, sobald sie mit der zweiten Form, Chum Kiu genannt, angefangen hatten. Der leicht eingedrehte Stand und die vertrauten Bewegungen ließen Julie wie immer zur Ruhe kommen. Wenn man den Ablauf einmal konnte, hatte die Übung eine absolut entspannende Wirkung. Nach der Form folgte ein technischer Teil. Die Schüler wurden einzeln zu Leung Jan gerufen. Er fragte, was sie beim letzten Mal geübt hatten, und zeigte jedem fünf Minuten lang etwas Neues. Hinterher ging man in Zweiergrüppchen zusammen, um das Gelernte zu vertiefen. Julie ging oft zu Kim, denn da Daan und Mathys schon sehr fortgeschritten waren, übten sie ganz andere Sachen. Auch an diesem Tag übte Julie erst einmal mit Kim. Dann wurde im Eingang Bewegung laut, die andere Gruppe kam. Julie blickte überrascht auf: Auch Tonia und Bille befanden sich unter den Trainingsgegnern des Tages. Ein mulmiges Gefühl beschlich Julie; Tonia und sie hatten sich ja noch nie leiden können. „Auch egal“, dachte Julie, „ich werde wohl nicht gerade gegen Tonia kämpfen müssen.“
Leung Jan hatte schon einen Haufen gepolsterter Kopf- und Handschützer aus Leder in die Mitte auf die Matten gelegt. Jetzt kamen noch mit Heu ausgestopfte Wämser dazu, die im Kampf einen Teil der Schlagwucht mildern sollten. Das kannte
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