DS036 - Der Gespenster-König
Jahrhundert üblich, tatsächlich Flintstein und Zunder.
»Was – was hab ich da vorhin an den Kopf bekommen?« lallte Johnny, immer noch halb benommen.
»Den Huf meines treuen Reittiers, Unwürdiger, der du mir nach dem Leben trachtest.« Die Gestalt hatte aus der Tasche ihres seidenen Überhemds einen Kerzenstumpf gezogen, den sie mit glimmendem Zunder entzündete. Es herrschte völlig Windstille, und in dem schwachen Kerzenschein sah Johnny, daß der Fremde neben sich seinen Tascheninhalt aufgeschichtet hatte. Darunter war auch eine Waffe, die einer übergroßen Automatikpistole ähnelte, in Wirklichkeit aber eine raffinierte Kompakt-Maschinenpistole war, die mit geradezu unglaublicher Schußgeschwindigkeit feuern konnte. Doc Savage hatte sie konstruiert, und nur seine Helfer waren damit ausgerüstet. Gewöhnlich wurden nur »Gnadenkugeln« verschossen, Patronen, die nicht töteten, sondern nur Bewußtlosigkeit erzeugten. Wann immer nur möglich, schonten Doc und seine Helfer Menschenleben, selbst wenn sie sich dadurch häufig in noch größere Gefahr begaben.
Pseudo-König John schien mit Feuerwaffen nicht vertraut zu sein; er fummelte mit der Mündung der Pistole vor seinem Gesicht herum, daß sich Johnny die Haare zu Berge stellten.
»Richten Sie das Ende mit der runden Öffnung anderswohin«, brummte er. »Sonst erschießen Sie noch jemand.«
Der Geist, der vor gab, König John zu sein, schien ihn nicht zu hören, legte die Kompakt-MPi schließlich aber hin und nahm die Papiere auf, die er in Johnnys diversen Taschen gefunden hatte.
»Wahrlich, eine merkwürdige Schrift, welche die Menschen von heutzutage schreiben«, bemerkte er.
Unter den Papieren waren auch die beiden Funktelegramme, die Johnny von Doc erhalten hatte. Den Mann schien insbesondere jenes zu interessieren, das die Unterschrift »Doc Savage« trug. Er starrte Johnny finster an.
»Sind Sie etwa ein Freund dieses Doc Savage?«
Johnny gab sich Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Der angebliche Geist König Johns sprach plötzlich in geläufigstem Alltagsenglisch der Gegenwart und nicht mehr in der gestelzten Sprache vergangener Jahrhunderte.
»Und? Wenn es so wäre?« fragte Johnny.
»Los, raus mit der Wahrheit! Gehören Sie zu der Gruppe oder nicht?«
»Ja«, gab Johnny zu.
Der Mann ließ eine Fluchserie los, die durchaus dem zwanzigsten Jahrhundert entstammte. »Hat Doc Savage Sie hierhergeschickt?« fragte er barsch, als er mit der Flucherei endlich fertig war.
»Nein«, sagte Johnny.
»Ich glaube, Sie sind ein verdammter Lügner!«
Johnny konterte sofort: »Und Sie sprechen plötzlich waschechtes Cockney-English.« Er hielt den Mann nicht mehr für verrückt, sondern vermutete, daß er seine Rolle als König John mit einer sehr realen Absicht und aus einem ganz bestimmten Grund spielte.
»Hören Sie, was soll diese König-John-Komödie eigentlich?« fragte er scharf.
»Das werde ich ausgerechnet Ihnen sagen, einem Kumpan von Savage!« fauchte der andere. Dann schnellte er plötzlich hoch, sprang auf Johnny zu und schlug ihm die Breitseite seiner Schwertklinge über den Kopf.
3.
Southampton ist seit jeher einer der Haupthäfen des Atlantikverkehrs, und mag er als solcher im Zeitalter des Düsenjets auch an Bedeutung eingebüßt haben, so haben Londoner und Pariser Zeitungen dort immer noch ihre Schiffskorrespondenten postiert, um über illustre Passagiere zu berichten, die per
Transatlantic-Liner
dort eintreffen.
An diesem Abend war, ganz wie in alten Zeiten, neben den Korrespondenten sogar der Bürgermeister von
Southampton mit umgehängter Amtskette erschienen. Der Empfang sollte Doc Savage gelten. Zwar hatte der Bronzemann funktelegrafisch gebeten, auf alle Ehrungen zu verzichten, aber der Bürgermeister hielt es dennoch für seine Pflicht, einen Gast, der sich in der Vergangenheit mehrfach hohe Verdienste um England erworben hatte, persönlich auf englischem Boden zu begrüßen. Die Zeitungskorrespondenten hingegen waren einfach nur deshalb gekommen, weil Doc Savage eine legendäre Gestalt war, über die es immer etwas zu berichten gab.
Während das Empfangskomitee erwartungsvoll an der Hauptgangway wartete, schlängelte sich eine große, aber gebückt gehende Gestalt im Turban und mit weitem orientalischem Gewand geschickt zwischen den Trägern hindurch, die über die Ladegangway eilige Frachtgüter an Land schleppten. Niemand schenkte ihr weitere Beachtung, denn wie üblich war mit
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