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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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unseren Hütten auf, schlafen neben ihnen, essen und leben neben den Leichen. Wenn die Verwesung beginnt, drücken wir die noch verbliebene Flüssigkeit aus dem Leichnam und streichen unseren Körper damit ein. Wenn die Verwesung abgeschlossen ist und nur noch die Knochen übrig sind, hängen wir den Schädel und die Kiefer in unsere Hütte. Wenn wir umziehen, nehmen wir sie mit.«
    Auf Papas erneute Frage nach dem Warum antwortete Nakire mit nur zwei Sätzen: »Weil wir Fayu keine Hoffnung haben, unsere Geliebten jemals wiederzusehen. Deshalb hängen wir so an ihnen und bewahren ihre Reste als Erinnerung auf.« Diese Worte verstand Papa in ihrer ganzen Bedeutung erst viel später.
    Es wurde dunkel, kein Mond, keine Sterne waren zu sehen. Wo der Schein des Feuers nicht hinreichte, war alles in pechschwarze Dunkelheit gehüllt. Dann plötzlich ein Donner, ein Blitz, und es fing an zu regnen. Bald goss es in Strömen, alle flüchteten in die Hütte, die jedoch trotz aller Bemühungen nicht regenfest war. Kaum jemand schlief in dieser Nacht, vor lauter Angst, Nässe oder Grübelei. Papa war hundemüde, völlig entmutigt und wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er die Expedition abbrechen, sollten sie weiterfahren? Endlich schlief er vor Erschöpfung ein.
    Am nächsten Morgen erwachte er trotz allem mit einem wohligen Gefühl. Die Sonne strahlte schon wieder und versprach einen freundlicheren Tag. Doch leider, der Schein trog. Mit entsetztem Gesicht holte Herb meinen Vater aus der Hütte und nahm ihn mit zum Ufer. Dort sah er die Bescherung: Das Kanu war voller Wasser, das Gepäck weg, und mit dem Gepäck auch die Benzin-Reserven.
    Papa sank in sich zusammen. Dieser Zwischenfall bedeutete, dass sie am Ende waren; die Expedition war höchstwahrscheinlich ein zweites Mal gescheitert. Gottlob hatten sie wenigstens das Sprechfunkgerät bei sich behalten!
    Als die Gruppe sich um das Lagerfeuer setzte, um Rat zu halten, erzählte plötzlich ein Dani-Mann, dass er einen seltsamen Traum gehabt hatte. Er hätte zehn Engel gesehen, die das ganze Lager umzingelten, mit ausgebreiteten Armen. Um sie herum war ein wunderschönes Licht, das alles in der Umgebung anstrahlte. Es beschützte alle, die sich im Lager aufhielten.
    Immer schon hatte mein Vater an Zeichen geglaubt – und wie durch ein Wunder fühlte er sich auf einmal von Zuversicht durchströmt. Sein Vertrauen und sein ganzer Mut kehrten zurück. Er nahm seine Bibel, schlug sie auf und begann aufs Geratewohl zu lesen. Da bekam er eine Gänsehaut: Aufgeschlagen war ein Vers, der auf seltsame Weise zur Situation passte und der ihm das Vertrauen in das, was er tat, zurückgab. Es war der Psalm 91, der später zu unserem täglichen Gebet werden sollte …
    Papa schloss die Augen und sprach einen Dank. Als er die Augen wieder öffnete, bemerkte er, dass alle Expeditionsteilnehmer ihn gespannt anschauten – sie warteten auf seine Entscheidung. »Wir gehen weiter«, sagte er nur.
    Kurz darauf erreichten sie über das Funkgerät den Hubschrauberpiloten und baten um Lebensmittel und Benzin. Sie gaben ihre genaue Position durch, dann machten sie sich an die Arbeit, um eine Freifläche zu schlagen, auf der der Hubschrauber landen konnte. Sie arbeiteten den ganzen Tag. Am späten Nachmittag endlich hatten sie eine genügend große Fläche geschaffen und entzündeten ein riesiges Feuer mit viel Rauch, so dass der Hubschrauber sie finden konnte.
    Es wurde spät und später, niemand kam, die Sonne neigte sich und begann unterzugehen. Da spitzte Nakire plötzlich die Ohren, stand auf, ging zum Ufer und spähte hinauf zum Himmel. Nun hörte Papa es auch: Propellerdröhnen näherte sich! Der Pilot hatte den Rauch gesehen. Er landete, und schnell wurde alles ausgepackt, damit er den Heimflug nach Danau Bira antreten konnte, bevor es ganz dunkel wurde.
    An diesem Abend herrschte ausgelassene Stimmung, voller Spannung und Vorfreude auf eine erfolgreiche Fortsetzung der Expedition. Die Männer hatten wieder genug zu essen, sie sangen fröhliche Lieder und unterhielten sich noch lange. In der Nacht wurden wieder Wachen aufgestellt, doch es blieb ruhig, und am nächsten Morgen erwachten alle ausgeruht und voller Tatendrang.
    Von neuem ging es flussaufwärts. Sie überquerten die Kreuzung des Klihi-Flusses, passierten die Stelle, an der sie Ziau getroffen hatten.
    Doch einige Stunden später, am späten Nachmittag, wollte Nakire plötzlich nicht mehr weiter. Er schaute zum Ufer hinüber, und

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