Dschungelkind /
in Foida bekam Papa »offiziellen« Besuch. Sein Name war Häuptling Baou. Er war der älteste Häuptling und gehörte zum Stamm der Tigre. Da er als der gefährlichste und auch der kaltblütigste unter den Fayu-Kriegern bekannt war, traten alle beiseite und machten ihm respektvoll Platz, als er aus dem Urwald kam. Von der Statur her war er kein großer Mann, trug auch wenig Schmuck an seinem Körper und hatte nur Pfeil und Bogen bei sich. Er war ein stiller Mann, der nicht viel redete und selten lächelte. Wir Kinder sind ihm später immer aus dem Weg gegangen. Nicht so sehr, weil wir Angst hatten, sondern vielmehr, weil alle anderen es auch taten. Er strahlte eine Autorität aus, die man körperlich spüren konnte.
Papas Herz schlug bis zum Hals, als er realisierte, wer da vor ihm stand. Er begrüßte den Häuptling respektvoll, setzte sich mit ihm und allen Übersetzern um das Lagerfeuer und bot ihm Essen an. Dann begannen sie miteinander zu reden.
Papa fing an und sagte, dass er nicht als Häuptling gekommen sei, sondern als Diener. Er wolle die Autorität Häuptling Baous niemals bedrohen, im Gegenteil, er wolle sich ihm unterordnen. Dann äußerte er den Wunsch, mit seiner Familie unter den Fayu leben zu dürfen, ihre Sprache zu lernen und ein Teil ihrer Gruppe zu werden. Aber nur dann, wenn er, Häuptling Baou, seine Erlaubnis gab.
Noch einmal fragte Papa direkt: »Häuptling Baou, habe ich dein Einverständnis, mit meiner Familie hierher zu ziehen?«
Häuptling Baou senkte den Kopf, überlegte und sprach kein Wort. Alle Anwesenden verstummten und schauten auf ihn. Nach einigen Minuten hob er den Blick und antwortete: »Ja, weißer Mann, ich gebe dir diese Erlaubnis. Ich möchte, dass du zu uns kommst und bei uns lebst.«
Man hörte förmlich, wie alle erleichtert aufatmeten. Nakire strahlte über das ganze Gesicht, und Papa erzählte mir später, dass dieser Moment einer der schönsten in seinem ganzen Leben gewesen sei (»… ausgenommen natürlich die Geburt meiner Tochter Sabine«, wie er augenzwinkernd hinzufügte).
Papa fragte weiter, wo er sein Haus bauen dürfe.
»Genau hier«, antwortete Häuptling Baou und zeigte auf den Boden. Und genau da baute Papa unser erstes Haus.
Nicht ohne Grund war Häuptling Baou einer der führenden Männer der Fayu. Er war sehr klug und durchdachte all seine Entscheidungen logisch und mit viel Verstand. Damals wusste Papa noch nicht, dass die Lichtung, auf der er sein Haus bauen sollte, eine neutrale Zone zwischen allen Stämmen war. Die Entscheidung Häuptling Baous sicherte uns absolute Neutralität, keiner der Stämme konnte Papa somit als persönliches Eigentum in Anspruch nehmen oder sonstwie vereinnahmen. Nur so war garantiert, dass es keinen Streit um den weißen Mann geben würde.
Bevor er uns holte, flog Papa noch mehrere Male nach Danau Bira und zurück in den Dschungel, erstens, um das Vertrauen der Fayu in ihn zu stärken, ihre Kultur und Sprache näher kennen zu lernen, und zweitens, um unser neues Haus fertig zu stellen.
Dazu hatte Papa die Hilfe von ein paar Dani-Männern aus Danau Bira in Anspruch genommen. Kurz bevor sie für ihre Rückreise mit dem Hubschrauber abgeholt wurden, hatte einer der Dani sein Buschmesser draußen liegen lassen. Sofort nahm es einer der Fayu-Krieger an sich und stolzierte damit glücklich vor unserem neuen Haus herum. Papa hörte schon den Hubschrauber, als der Dani-Mann zu ihm zurückkam und sich beklagte, dass der Krieger sich weigere, sein Buschmesser herauszugeben. Papa ging nach draußen und versuchte zu vermitteln, doch die Antwort des Fayu war
Hau,
Nein. Papa wurde langsam ärgerlich, versuchte ihm zu erklären, dass das Messer nicht ihm gehöre, sondern dem Dani-Mann, der jetzt gleich wegfliegen würde und sein Eigentum mit sich nehmen wolle. Doch der Fayu-Mann tanzte vor Papa hin und her und meinte, wenn er das Messer unbedingt haben müsse, solle er es ihm doch wegnehmen. Jetzt war Papa sauer und erzwang die Übergabe ohne weitere Spielchen.
Doch als der Hubschrauber weg war, kam der Fayu schnurstracks zu Papa zurück und verlangte ein neues Buschmesser. Papa war durcheinander und holte Nakire, seinen »Berater für Sprache und Kultur«.
»Stimmt es denn, dass ich diesem Mann nun ein Buschmesser geben muss?«, fragte er, und Nakire schaute ihn nur erstaunt an: »Was, hat er noch keines bekommen?«
»Aber nein«, antwortete Papa, »es war schließlich nicht sein Messer, warum sollte ich ihm ein neues
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