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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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gespannt hatte und direkt auf Nakire zielte. Ohne zu zaudern, nahm Nakire seinen eigenen Bogen und zielte mit einem Menschenpfeil zurück, und so standen sie sich gegenüber, keiner sagte ein Wort, die Aggression war körperlich spürbar, die Luft zum Zerreißen gespannt.
    Papa wusste, dass er schnell reagieren musste; er stand direkt zwischen den beiden. Er breitete abwehrend seine Arme in Richtung der Pfeile aus, stellte sich in die Schusslinie und rief: »Stopp, Stopp, nicht schießen, wir kommen in Frieden! Bitte legt eure Waffen nieder.«
    So schnell es ging, wurde dieser Satz in drei verschiedene Sprachen übersetzt, und Papa stand todesmutig zwischen den Pfeilspitzen. Er wagte nicht, sich zu rühren, seine Arme waren noch immer ausgebreitet. Endlich sagte Nakire etwas und senkte seinen Pfeil, die Spannung löste sich, und der andere Fayu tat es Nakire gleich.
    Wie sich später herausstellte, war es der Krieger Ziau, der als Erster aus dem Busch hervorgekommen war. Auf seinem Gebiet befand sich die Gruppe jetzt. Als sich die Atmosphäre ein wenig beruhigt hatte, sagte Papa noch einmal zu ihm, dass er in friedlicher Absicht gekommen sei, weil er die Fayu kennen lernen wolle. Der Häuptling winkte Papa zu sich, er solle ihm folgen, und so begaben sich die fünf Männer der Expedition im Schlepptau der zwei Fayu in den Urwald. Nakire blieb immer in Papas Nähe, Pfeil in der einen Hand, Bogen in der anderen. Gerade als Papa über einen Baumstamm steigen wollte, zog ihn Nakire ruckartig zurück und zeigte auf den Boden hinter dem Hindernis. Dort, gut getarnt und unter Blättern versteckt, ragten zahlreiche Knochenspitzen aus dem Boden: eine Falle, um Feinde zu verletzen. Vorsichtig trat Papa über die Spitzen und ging weiter.
    Endlich kamen sie zu einer kleinen Lichtung, in deren Mitte eine Art Plattform stand, die mit Palmblättern bedeckt war. Der Gestank wurde immer aufdringlicher, Papa hatte das Gefühl, gleich zu ersticken. Trotzdem näherte er sich der Plattform – und traute seinen Augen nicht: Was dort lag, war eine halb verweste menschliche Leiche.
    Sie war aufgebläht, Tausende von Fliegen und Insekten machten sich über den Toten her. Der Amerikaner blieb erschrocken neben Papa stehen.
    Da erzählte Ziau, dass dieser Mann von einem Iyarike, einem Mann aus Nakires Stamm, getötet worden war und dass er Rache nehmen musste. Doch er versprach, Nakire nicht zu töten, solange er unter dem Schutz meines Vaters stand. Dann lud er Papa ein, bei ihm zu übernachten; die Dämmerung hatte bereits eingesetzt.
    So höflich er nur konnte, gab Papa ihm zu verstehen, dass er lieber weiterfahren wolle. Er konnte kaum noch atmen und schnappte erleichtert nach frischer Luft, als sie endlich das Ufer erreichten. Das Team stieg ins Boot, wollte gerade ablegen, als plötzlich Ziau wieder auftauchte. Er rief Papa zu sich, und was er ihm dann mitteilte, hat wahrscheinlich ihnen allen das Leben gerettet:
    »Weißer Mann, fahr nicht weiter, denn oben am Fluss warten sie auf dich, sie wollen dich und deine Männer töten.«
    Als Papa diese Worte hörte, wurde ihm eiskalt. Er bedankte sich bei dem Krieger und stieg wieder ins Boot, aber nur, um ein Stück zurückzufahren und ein geeignetes Nachtlager zu finden. Es wurde immer dunkler, die Moskitos fielen zu Tausenden über sie her, und zu allem Überfluss bildeten sich große Regenwolken am Abendhimmel.
     
    Am Klihi-Fluss aufwärts fanden sie eine verlassene Hütte. Dort bauten sie ihr Lager auf, doch zuerst sandten sie eine Nachricht über das mitgebrachte Kurzwellengerät und gaben ihre Position durch. Sie hatten alle Angst und wussten nicht, ob sie nicht doch noch jemand verfolgte. Papa dachte an die Gestalten, die Nakire an diesem Morgen in der Gegend gesehen hatte.
    Die Hütte war verfallen, und die Dani-Männer versuchten ihr Bestes, um sie ein wenig wasserdicht zu machen. Das meiste Gepäck ließen sie im Kanu, für alle Fälle. Es war einfacher, sollten sie plötzlich fliehen müssen. Was für diese eine Nacht gebraucht wurde, verstauten sie in der Hütte und zündeten dann ein Lagerfeuer an. Die Stimmung war allgemein trüb, es wurde nicht viel geredet. Wachen für die Nacht wurden bestimmt, und schließlich versammelte Papa Nakire und seine Übersetzer um das Feuer. Unzählige Moskitos umschwärmten sie.
    Nakire
    Papa hatte so viele Fragen, allen voran natürlich: Warum lag eine Leiche in der Hütte?
    Nakire setzte zu einer Erklärung an: »Wir bewahren unsere Toten in

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