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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Der Kopf verschwand wieder. Mama schüttete sich aus vor Lachen.
    Christian konnte wirklich die tollsten Antworten geben, dachte ich mit ein wenig Neid, logisch und gleichzeitig so praktisch. Meine Versuche, schwierigen Fragen aus dem Weg zu gehen, funktionierten hingegen nie. Als Mama mich einmal nach der Hauptstadt von England fragte, bekam ich plötzlich einen sehr überzeugenden Schwindelanfall und fiel von meiner Bank auf den Boden. Unbeeindruckt von meiner Schauspielkunst, schüttete Mama mir ein Glas Wasser über den Kopf.
    »Wenn du dich nicht etwas mehr konzentrierst, Sabine, wirst du die zweite Klasse wiederholen müssen«, sagte sie verärgert, während sie mir ein Handtuch reichte.
    Das eröffnete neue Perspektiven; mein Schwindelanfall war wie weggeblasen: »Gute Idee«, rief ich begeistert, »dann brauche ich nächstes Jahr nicht so viel zu lernen!« Mama war endlich einmal sprachlos.
    Was sollte mir die Schule denn noch beibringen, konnte ich doch damals schon besser klettern und schießen als die meisten Kinder, mit Ausnahme meiner Fayu-Freunde natürlich. Alle Überlebenskünste des Urwalds kannte ich, wusste, welche Tiere und Pflanzen ich essen durfte und welche giftig waren. Warum in aller Welt sollte ich lernen, welcher General wann Krieg führte oder was zwölf mal sechs ergibt? Meine Fayu-Freunde zählten sowieso nur bis drei: Ein Finger bedeutete eins, zwei Finger zwei und drei Finger drei. Danach kam eine Hand für fünf, zwei Hände für zehn, ein Fuß dazu war fünfzehn und beide Hände und Füße zwanzig. Mehr war doch wohl nicht notwendig …
    Wenn ich einen Aufsatz schreiben sollte und keine Lust dazu hatte, reihte ich einfach Buchstaben aneinander. Eine Zeit lang dachte meine amerikanische Lehrerin, ich würde Deutsch schreiben, und machte mir freundlich Mut, es doch auch mal auf Englisch zu versuchen. Leider flog der Trick auf, und Mama bekam Wind davon, als sich meine Lehrerin wieder einmal verzweifelt an sie wandte. Mama klärte sie auf, dass ich noch weit davon entfernt sei, deutsche Sätze schreiben zu können – und ich hatte eine Weile nichts zu lachen.
    Ich denke, dass ich meinen Eltern in diesen Jahren ziemliche Sorgen machte. »An Intelligenz fehlt es nicht«, schrieb meine Lehrerin, »Sabine ist einfach faul und konzentriert sich nicht.« So stand es alle paar Monate in meinen Zeugnissen. Als Konsequenz wurde ich unter strengerer Aufsicht gehalten und hatte meine Schularbeiten allein an unserem Holztisch zu machen, während Mama das Mittagessen vorbereitete. So konnte sie mich immer beobachten.
    Nicht dass es viel gebracht hätte: Während ich so vor mich hin büffelte, war ich in Gedanken schon längst draußen und zündete glücklich ein Feuer an oder schwamm im kühlen Wasser des Flusses. Und kaum war der letzte Strich in meinem Schulbuch getan, sprang ich auf, nahm Pfeil und Bogen und lief davon. Wie herrlich war doch die kühle Erde unter meinen nackten Füßen, die Sonne, die ihre warmen Strahlen durch Bäume und Blätter schickte! Der Fluss, dessen Plätschern geradezu fröhlich klang, und das Strahlen unserer Freunde, die schon den ganzen Morgen auf uns gewartet hatten … Wir rannten los und verloren uns von neuem in den Fantasien unserer Kindheit.
    Sabine bei den Schularbeiten in Foida
    Den Rest des Tages spielten wir, erforschten unsere Gegend und vergaßen, dass es außerhalb unserer eigenen noch eine andere Welt gab. Die Schönheit des Dschungels, der Einklang mit der Natur, die mir wie eine zweite Mutter war – all das war mir genug. Ich trug selten Schuhe, brauchte keine Jacken, keinen Regenmantel, denn der Regen war mein Verbündeter, die Sonne meine Freundin, der Wind mein Spielkamerad, der mit mir rannte und mich fing. Und abends der Sonnenuntergang war mein Geliebter.
    Jeden Abend schaute ich hinauf zum Himmel und sah diese Farbenpracht: rot, gelb, blau, lila, grün, weiß, wie ein gigantisches Feuerwerk, das den Horizont überstrahlte. Und das Schönste von allem war die untergehende Sonne, die sich wie ein gemaltes Kunstwerk im Wasser des Flusses spiegelte.
    Nachts schließlich saß unsere Familie beim anheimelnden Licht einer Kerosinlampe um den großen Tisch herum. Tausende Kilometer von der Zivilisation entfernt, spielten wir mitten in der Wildnis Mensch-ärgere-dich-nicht, Scrabble oder UNO . Oder Papa erzählte uns Geschichten von einem Hasen namens Zickzack, der seinen Eltern nicht gehorchte und deshalb in Gefahr geriet und von einem bösen

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