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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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wurde Papa nachts wach und hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er stand auf, nahm eine Taschenlampe und prüfte zuerst einmal, ob bei uns alles in Ordnung war. Eine Weile stand er vor unseren Betten und versuchte dahinterzukommen, was an dieser Nacht eigentlich anders war – was ihn aufgeweckt hatte. Da bemerkte er plötzlich, dass es vollkommen still war. Kein Insekt zirpte, und das nächtliche Gequake der Frösche war auch nicht zu hören. Stattdessen hörte er ein Plätschern; immer wieder kam das ungewöhnliche Geräusch. Er ging in die Küche und schaute aus dem Fenster. Der Mond schien an diesem Abend ungewöhnlich hell.
    Papa sah zu seinem Erstaunen, dass der Fluss extrem viel Wasser führte und fast über die Ufer trat. Obwohl es bei uns keinen Tropfen geregnet hatte! Später stellte sich heraus, dass in den Bergen, an der Quelle des Flusses, ein gewaltiger Gewittersturm getobt hatte und den Wasserspiegel beängstigend hatte ansteigen lassen.
    Papas erster Gedanke war das Boot; es war an einem Pflock am Ufer angebunden. Aber der Pflock stand nicht mehr senkrecht, sondern drohte zu kippen, und das platschende Geräusch, das Papa verwirrt hatte, war die schnelle Strömung, die das Boot mit Wucht hin und her warf. Unser einziges Transportmittel, unser Lebensretter! Es galt, das Boot mitsamt seinem Motor um jeden Preis zu retten, denn über Funk hatte man uns gerade mitgeteilt, dass der Hubschrauber defekt war.
    Im Falle, dass wir schnell zur Dschungelbasis Danau Bira hätten zurückkehren wollen, hätten wir erst einmal mit dem Boot zum Stamm der Dou fahren müssen, wo uns dann eine Cessna abholen konnte. Niemals wären wir auf dem Landweg durch den Urwald irgendwohin gelangt.
    Mit der Taschenlampe in der Hand eilte Papa hinaus, als auf einmal im Schein des Lichts, genau vor unserer Tür, die schimmernden Augen einer riesigen Schlange auftauchten. Papa erstarrte und bewegte sich nicht mehr. Die Schlange zischte ihn an und erhob sich in die Angriffsposition. Verzweifelt schaute Papa um sich – was sollte er jetzt tun? Das Buschmesser lag hinter der Schlange auf einem Regal bei der Tür. Papa überlegte einen Moment und entschied dann, über den Tisch zu krabbeln, um von dort aus an das Messer zu gelangen.
    Ohne die Schlange aus den Augen zu lassen, stieg er auf den Tisch und kroch langsam los, um sie nicht zum Angriff zu provozieren. Die Schlange verfolgte jede seiner Bewegungen genauestens. Endlich hatte er das Regal erreicht, nahm das große Messer an sich und stellte sich zwischen Schlange und Tür. Doch wie wollte er jetzt nah genug an sie herankommen, um sie zu töten?
    Er knipste die Taschenlampe aus und wartete kurz ab. Dann, unerwartet, schaltete er sie wieder an und zielte damit direkt in die Augen des Reptils. Das Licht blendete die Schlange einige Sekunden lang, und Papa nutzte die Gelegenheit, um mit einem kräftigen Schlag ihren Kopf zu treffen. Sie war noch nicht sofort tot, sie kämpfte noch eine Weile, doch als sie sich schließlich nicht mehr rührte, trug Papa sie auf dem Buschmesser nach draußen und schleuderte sie in den Fluss. Er drehte sich um, und ausgerechnet in diesem Moment löste sich der Pflock, an dem das Boot befestigt war. Beherzt sprang Papa ins Wasser und konnte in letzter Sekunde auch noch das Boot retten.
    Noch heute beschreibt Mama gerne im Detail, wie Papa über den Tisch krabbelte: mit erhobenem Buschmesser, zerzaustem Haar, Bartstoppeln am Kinn und halb heruntergezogenen Shorts. Denn sie hatte alles von der Schlafzimmertür aus beobachtet.
     
    Am nächsten Morgen beim Frühstück hörten wir gespannt zu, wie Papa uns seine aufregende Nacht schilderte. Das Frühstücksgeschirr wurde als Bühnenbild benutzt, und der Kaffeelöffel war die Schlange.
    »Papa«, sagte ich trotz allem enttäuscht, als seine Ausführungen zu Ende waren, »warum hast du mich nicht geweckt? Ich hätte dir helfen können!«
    »Ich auch, ich auch!«, rief Christian dazwischen.
    »Das ist lieb von euch«, antwortete Papa, »und mir ist ja klar, dass Christian gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann und dass du, Sabine, eine tolle Tierfängerin bist, aber wisst ihr – irgendwie beruhigt es mich doch, wenn ihr unter euren Moskitonetzen in Sicherheit seid. Dann habe ich das Gefühl, dass ich euch besser beschützen kann. Könnt ihr das verstehen?«
    Christian und ich nickten gemeinsam.
    Aber es könnte ja auch mal sein, dass Papa nicht im Haus ist, dachte ich bei mir. Und wenn dann zufällig

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