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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Adler gejagt wurde. Die Moral dieser Geschichten war eindeutig.
    Und dann, am Ende eines prall gefüllten Tages, kletterte ich ins Bett, Pfeil und Bogen neben mir, braun gebrannt von der Sonne, und die Farben des Sonnenuntergangs leuchteten tief in mir noch weiter. Ich sprach mein Abendgebet, klemmte das Moskitonetz unter die Matratze, und untermalt vom Konzert tausender Insekten und Nachtvögel schlief ich ein und träumte von neuen spannenden Abenteuern und der Schönheit des Dschungels.

Nächtliche Besucher
    N ur ein paar Monate waren vergangen, doch es kam mir vor, als hätten wir schon immer im Dschungel gelebt. Die Zeit verfloss, und ich vergaß, welchen Monat wir hatten oder welchen Tag. Meine Aktivitäten richteten sich nach der Sonne: Wenn sie um sechs Uhr morgens aufging, stand ich auf, wenn sie hoch oben am Himmel stand, aß ich zu Mittag, und wenn sie um sechs Uhr abends unterging, dann war es Schlafenszeit.
    Die Nächte verliefen für uns Kinder meist ruhig, nicht unbedingt aber für Mama, die, wie bereits erwähnt, öfter auf Rattenjagd ging. Manchmal weckte sie Christian, der mittlerweile sehr gut mit Pfeil und Bogen umgehen konnte. Mich hingegen ließ man weiterschlafen, ja, man ließ sogar besondere Vorsicht walten, dass ich nicht wach wurde. Denn ich war – wie meine Schwester so gern betonte – das reinste Auffanglager und Waisenhaus für Tiere und sammelte alles, was kroch, schwamm oder flog.
    Eines Nachts aber wurde ich doch wach: Die größte Ratte, die ich im Leben je gesehen habe, hatte es auf unser Essen abgesehen. Sie attackierte das Taschenlampenlicht mit einer derartigen Boshaftigkeit, dass selbst ich, die alle noch so ekligen Tiere liebte, sie nicht zu meiner Sammlung hinzufügen wollte. Christian zielte und wollte gerade einen Pfeil abschießen, als die Ratte mit voller Wucht auf das tödliche Geschoss losging. Wir erschraken so, dass wir schreiend in alle Richtungen davonliefen.
    Durch den Lärm wurde schließlich Papa wach, der sogleich das Kommando übernahm. Ich bettelte bei ihm um Gnade für das Leben der Ratte, so dass er gutwillig versuchte, sie einfach aus dem Haus zu scheuchen, aber ohne Erfolg. Dementsprechend wurde es eine lange und lebhafte Nacht, deren siegreiches Ende wir mit Tee und Keksen feierten. Und Häuptling Koloqwois kleiner Sohn freute sich am nächsten Morgen über ein leckeres gebratenes Frühstück …
    Aber nicht nur Ratten besuchten uns. Kakerlaken, Spinnen und allerlei anderes Getier nutzte den Schutz des Hauses und seiner Essensvorräte, um sich ein bequemes Leben zu machen. Mama wunderte sich allerdings, warum es immer mehr Tiere wurden, obwohl sie sich so viel Mühe gab, die Essensreste zu entfernen. Regelmäßig dreimal am Tag wurde der Boden gefegt, doch es half alles nichts – bis sie eines Tages herausfand, warum es schlimmer wurde anstatt besser.
    Ich war mal wieder mit Fegen dran und erinnerte mich, wie Papa neulich, anstatt Krümel und sonstige Abfälle aus der Haustür zu kehren, alles einfach zwischen die Holzritzen im Boden schob. Das schien mir praktisch, und als ich mit dem Fegen fertig war, suchte ich mir die breitesten Ritzen aus und fing fröhlich an, meine Schmutzhäufchen dort verschwinden zu lassen.
    Entsetzt fragte Mama: »Sabine, was machst du denn da! Kein Wunder, dass wir so viel Ungeziefer im Haus haben! Du müsstest jetzt wirklich alt genug sein … Wie kommst du bloß auf so eine Idee!« Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Mir hätte klar sein müssen: Unter den Holzplanken war ebenfalls Moskitodraht gespannt, und die Essensreste sammelten sich darin und wurden zu herrlichen Speisekammern für unsere kleinen Lieblinge.
    Ich hatte jedoch die beste aller Ausreden: »Aber Mama«, antwortete ich, »Papa macht es doch auch immer so!«
    Mama drehte sich zu ihm um, er war gerade dabei, sich eine Tasse Kaffee zu machen.
    »Sabine hat Recht, Mama«, bestätigte artig nun auch noch Christian, »Papa macht es doch immer so, wenn du nicht da bist.«
    Papa fing an zu pfeifen.
    »Also wirklich, Klaus Peter, was denkst du dir dabei …«, fing Mama an zu explodieren, aber Papa beschwichtigte schnell und auf seine Weise: »Ach Doris, was sind ein paar Tiere mehr – wir kriegen doch sonst keinen Besuch …«
    Er zwinkerte uns zu, und wir lachten. Mama schaute ihn streng an. Ich glaube, das war noch nicht das Ende vom Thema für ihn. Und von dem Tag an haben wir alle brav den Schmutz aus der Haustür gefegt.
     
    Ein paar Tage später

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