Dschungelkind /
einschlief.
Und irgendwann war es dann wieder so weit: Die Regenzeit begann! Den Auftakt bildete meist ein gewaltiges Gewitter.
Eines Morgens stand ich auf, die Hitze war wie immer schon zu spüren. Ich aß mein Frühstück, machte meine Schularbeiten und ging nach draußen, um für den Rest des Tages zu spielen. Gerade planschte ich mit Tuare, Foni und Abusai im Fluss, als ich zufällig zum Himmel hinaufblickte und weit entfernt am Horizont riesige schwarze Wolken sich auftürmen sah. Langsam, Schritt für Schritt, verließ ich das Wasser, um mir nichts von diesem Schauspiel entgehen zu lassen. Ein gewaltiger Anblick! Die Wolkenberge näherten sich mit enormer Geschwindigkeit, wurden jeden Augenblick größer und bedrohlicher. Schon hörte ich den ersten Donner grummeln, sah ein erstes Wetterleuchten in den Wolken. Immer näher kam es, bis uns plötzlich, mit dem grellsten aller Blitze und einem gewaltigen Donner, der mich schier zu Boden warf, das Gewitter im Griff hatte. In Sekundenschnelle war alles dunkel, und ein starker Wind, der eine elektrisierende Energie mit sich trug, fegte über mich hinweg.
Dann spürte ich einen großen Tropfen auf meiner Haut – platsch –, dann noch einen, dann drei und vier, und dann, als ob der Himmel sich geöffnet hätte, regnete es mit der Kraft der Sintflut. Ich breitete die Arme so weit aus, wie ich nur konnte, schloss meine Augen und kehrte mein Gesicht dem Himmel zu. Was für ein wahnsinniges Gefühl! Blitz, Donner, Wind und Regentropfen, groß wie geplatzte Seifenblasen, die mit solcher Wucht niederprasselten, dass die Haut schmerzte. In diesen Momenten fühlte ich mich eins mit der Natur. Um mich herum brauste ein gigantischer Sturm, die Hitze war im Nu verflogen, wurde abgelöst von einer erholsamen Kühle, die sich gleichermaßen über das Land und meine Haut ausbreitete.
Ich regte mich nicht, der Regen peitschte meinen Körper, der Wind umarmte mich und trug mich ein Stück mit sich – und dann hörte ich Mamas Stimme, die mir zurief, ich solle sofort ins Haus kommen.
»Ach, Mama«, sagte meine Schwester Judith, die in der Tür stand, zuschaute und die Geschichte mit der Schlange noch nicht vergessen hatte, »lass sie doch, vielleicht haben wir Glück, und sie wird vom Blitz getroffen.«
Mama war schockiert über diese Bemerkung und wies meine Schwester scharf zurecht. Ich aber verstand Judith – wie Geschwister eben so sind. Judith hätte es bisweilen leichter gehabt ohne mich!
Inzwischen war kein Mensch mehr draußen, alle hatten sich in ihre Hütten verkrochen. Ich rannte zum Haus. Kaum war ich in der Küche, blitzte es so hell und gewaltig, dass wir alle einige Sekunden lang geblendet waren. Ich ließ mich gleich zu Boden sinken und hielt mir die Ohren zu, denn ich ahnte, was im nächsten Moment passieren würde. Es krachte dermaßen laut, dass ich dachte, unser Haus wäre getroffen. Dann wieder ein Blitz, wieder ein gewaltiger Donner. Das Gewitter lärmte so, dass wir nichts anderes mehr hören konnten. Nach einigen Minuten war es vorbei.
Ich stand auf und schaute aus dem Fenster. Es war stockfinster wie mitten in der Nacht und der Regen so dicht, dass ich draußen kaum noch etwas erkennen konnte. So würde es nun eine Zeit lang bleiben.
Der erste Tag der Regenzeit war für mich immer eine willkommene Abwechslung. Ich konnte nachts wieder gut schlafen, und man konnte tief durchatmen, ohne das Gefühl zu haben, dass die Luft keinen Sauerstoff beinhaltete. Aber was weiter? Wir hatten natürlich keinen Fernseher, kein Radio und schon gar keinen Computer oder die elektronischen Spiele, mit denen sich Kinder in der modernen Welt bekanntlich so gern beschäftigen. Wir hatten einen Walkman mit ein oder zwei Kassetten und ein paar Bücher, die wir schon mehrmals durchgelesen hatten.
Also saßen wir tagelang auf unseren Betten, hörten Musik oder lasen die Romane, die wir schon auswendig kannten. Wir lagen herum, lauschten dem Gewitter, zählten die Sekunden vom Blitz bis zum Donner, wie es Kinder überall auf der Welt tun. War das Gewitter direkt über uns, mussten wir uns allerdings die Ohren zuhalten, weil der Donner so laut war, dass die ganze Hütte bebte … Wenn der Regen dann wieder etwas nachließ und nicht mehr allzu stark gegen das Aluminiumdach prasselte, las uns Mama deutsche Bücher vor, um unsere Muttersprache zu verbessern.
Wie habe ich mich während dieser Zeiten gelangweilt. Obwohl der Regen meist nur ein paar Tage anhielt, schien
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