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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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wir haben Besuch bekommen!«
    Unsere Schwester schaute sich um und fing haltlos an zu schreien. Christian und ich krümmten uns vor Lachen. Mama fand es nicht ganz so lustig. Zur Strafe musste ich Judith das Frühstück ans Bett bringen, wo sie den Rest des Tages unter dem Moskitonetz verbrachte.
    Inzwischen hatten sich Mama und Papa mit Insektenspray bewaffnet und machten sich an die Arbeit, das Innere des Hauses so gut wie möglich von Ungeziefer zu befreien. Ich wollte natürlich helfen; nach einiger Zeit jedoch warf meine Mutter mich hinaus mit der Bemerkung: »Du bist kontraproduktiv.«
    Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, ich wollte nur die armen Tiere retten. Während Mama und Papa mordend ihre Kreise zogen, sammelte ich alles, was da kroch und krabbelte, in Gläser und warf sie nach draußen. Natürlich krabbelten die Tiere in kürzester Zeit wieder ins Haus, und meine Mutter schickte mich mit Christian, meinem treuesten Anhänger, dorthin, wo der Pfeffer wächst.
    Wir gingen bis zur Treppe, die nach unten auf den Waldboden führte. Das Wasser stand fast bis zur obersten Stufe, und auch der Hubschrauberlandeplatz, das Fayu-Dorf, alles war mit Wasser bedeckt. Kleine Äste und Blätter, übersät mit Ameisen, schwammen an uns vorüber. Es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne strahlte, und es wurde wieder warm. Ich kletterte die Treppen hinunter und stieg ins Wasser. Das braune Nass ging mir bis zum Bauch, der Boden war glitschig, und ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte. Christian blieb auf der Treppe stehen, ihm war das Wasser zu tief. Ich jedoch lief eine ganze Weile herum, half den schwimmenden Ameisen, auf die Bäume zu kommen, und kam mir wieder einmal wie der gute Geist der Tiere vor.
    Christian und ich auf einem Baumstamm, der an der Sandbank gestrandet war
    Doch so richtig schön wurde es erst am nächsten Tag. Als wir aufstanden, war wie durch ein Wunder das Wasser verschwunden. Ich war aufgeregt, konnte mich kaum auf meine Schularbeiten konzentrieren, und sobald ich fertig war, lief ich mit Christian und Judith nach draußen. Die Fayu-Kinder warteten schon auf uns. Der Boden war matschig und noch sehr nass, und das trieb unsere Fantasie zu Höhenflügen an: Wir bauten unsere erste Dschungelrutsche! Das wurde im Laufe der Zeit zu einer unserer Lieblingsbeschäftigungen: Wir suchten am Ufer eine Stelle, die glatt und frei von Büschen war. Steine und Äste räumten wir aus dem Weg, und mit den Händen glätteten wir so lange den Boden, bis er ganz eben und glitschig war. Dann nahmen wir Anlauf, so weit es ging, rannten und sprangen auf die Matschbahn und rutschten mit Schwung ins Wasser. Manchmal bauten wir sogar ein paar Kurven mit ein, um es noch spannender zu machen.
    Am Anfang schauten uns die Fayu zu und zweifelten wahrscheinlich an unserem Verstand, doch nach einer Weile probierten sie die Dschungelrutsche selbst aus. Es sprach sich herum, und bald darauf standen sie in langen Schlangen an und warteten begierig darauf, an die Reihe zu kommen.
    Es machte solchen Spaß. Wir waren von oben bis unten mit Matsch bedeckt, unsere blonden Haare waren braun, und unsere Haut ähnelte der der Fayu. Nur unsere blitzenden blauen Augen unterschieden uns noch von den Eingeborenen.

Die Spirale des Tötens
    W ir hatten gelernt, in allen Situationen unsere Fantasie zu benutzen und mit den einfachsten Mitteln interessante Spiele zu erfinden. Wir genossen die Natur und machten Gebrauch von ihr – mit all ihren Wundern und in all ihrer Vielfalt.
    Aber das Schönste für uns Geschwister war, dass die Fayu-Kinder langsam anfingen zu lachen. Mit uns begannen sie ihre Kindheit zu entdecken, die ihnen von Hass und Angst gestohlen worden war. Seit sie denken konnten, hatte ihr Leben aus Angst bestanden. Und den Grund dafür lernten wir nun langsam zu verstehen.
    In der Fayu-Kultur gab es nur zwei Erklärungen für den Tod: Man starb durch einen Pfeil oder durch einen Fluch. An einen natürlichen Tod glaubten sie nicht, medizinisches Wissen fehlte.
    Für das Sterben an einem Pfeil war in den meisten Fällen das Gesetz der so genannten Blutrache verantwortlich. Wäre ich ein Fayu-Krieger und würde mein Bruder von einem Mitglied eines anderen Fayu-Stammes umgebracht, so hätten ich, meine Familie und meine Stammesmitglieder die Pflicht, seinen Tod zu rächen. Diese Rache muss sich nicht auf den Täter und seine Familie beschränken, sondern könnte sich auf dessen ganzen Volksstamm erstrecken.
    Der

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