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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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es mir wie eine Ewigkeit. Der Fluss stieg immer höher, und der Boden draußen war durchnässt bis in die unergründlichsten Tiefen. Draußen im Regen spielen konnten selbst wir immer nur kurze Zeit, und wenn es blitzte und donnerte, durften wir das Haus sowieso nicht verlassen.
    Auch die Fayu blieben alle in ihren Hütten oder zogen sich in andere Hütten tief im Urwald zurück. Während der Regenzeit gingen sie selten jagen, und so gab es auf unserem Speisezettel wenig Fleisch oder Fisch. Wir behalfen uns mit Gemüse aus Dosen mit Reis und Kartoffeln. Denn Fleisch und Fisch bekamen wir nur von den Fayu. Sie waren diejenigen, die auf die Jagd gingen, und sie konnten ihre Beute dann bei uns gegen nützliche Sachen wie Fischhaken, Messer, Decken, Töpfe oder Kleidung tauschen, die sie in der Nacht vor Kälte und Insekten schützte.
     
    Wenn die Regenzeit wochenlang anhielt, was ebenfalls vorkommen konnte, wurden wir alle etwas mürrisch. Die Einzige, die diese Zeit genoss, war Judith. Sie hatte zu Beginn unseres Lebens mit den Fayu zufällig entdeckt, dass man mit verbrannter Holzkohle gut zeichnen konnte. Also sammelte sie große Mengen von Kohle, die sie während der Regenzeit verbrauchte. Zuerst wurden Porträts der Familie gemalt, und wenn Mama ihr kein Papier mehr gab, kamen die Wände an die Reihe. Große Landschaften mit lebendigen Fayu-Gestalten entstanden in unseren Zimmern. Fröhlich zeichnete Judith stundenlang vor sich hin, ohne sich um etwas anderes zu kümmern.
    Viele Jahre später – Judith hatte längst eine Karriere als Künstlerin eingeschlagen – erzählte sie mir, wie enttäuschend es für sie war, als sie zum ersten Mal einen Laden für Zeichenbedarf betrat und die große Auswahl an Kohlestiften sah. »Und ich glaubte all die Jahre, ich sei der erste Mensch, der herausgefunden hatte, dass man mit Kohle zeichnen kann!«, erzählte sie schmunzelnd. Obwohl sie heute darüber lacht, glaube ich trotzdem, dass sie im Grunde ein wenig traurig ist, nicht die Erfinderin der Kohlestifte zu sein.
     
    Eines Morgens rüttelte mich mein Bruder wach und forderte mich auf, schnell aus dem Fenster zu schauen. Ich sprang aus dem Bett, schaute und sah nichts … außer Wasser. Ich konnte keinen Boden mehr sehen, keinen Fluss, kein Ufer, alles war mit Wasser bedeckt. Unsere erste große Überschwemmung! Wir waren kolossal aufgeregt und wollten gleich zur Tür hinaus. Doch so weit kam es nicht.
    Als ich mich umdrehte, bemerkte ich ein seltsames Wabern. Überall an den Wänden und auf dem Boden krabbelte es, Spinnen, Ameisen, Käfer und jede Art von Insekten, die es auf dieser Erde gibt, liefen emsig durcheinander. Offensichtlich hatten sie vor dem Wasser Zuflucht in unserem Haus gesucht. Ich schluckte. Ein paar Tiere hier und da hatten mich nie gestört, aber das war sogar mir zu viel. Ich blieb stehen, wo ich war, rührte mich nicht von der Stelle und rief laut nach meiner Mutter. Sie kam aus ihrem Bett gesprungen, eilte zu uns – und blieb entsetzt stehen.
    Stell dir vor, du stehst auf und gehst wie jeden Morgen in die Küche, um dir Kaffee zu kochen, oder ins Bad, um zu duschen. Du greifst nach der Kaffeekanne – und greifst in Spinnen. Du willst das Wasser aufdrehen – Ameisen erobern deinen Arm. Du schaust dich um, und all deine Möbel, dein vor kurzem gesäuberter Fußboden, deine Dusche, deine Kaffeemaschine, Töpfe, Pfannen, alles, alles ist schwarz von Getier. Dann kannst du dir vorstellen, was in uns an diesem Morgen vorging.
    Mama war am Ende und schrie nach Papa, er solle sofort aufstehen. Christian und ich dagegen hatten uns schon wieder erholt und waren begeistert von der Vielfalt der Tiere. Immer wenn einer ein Insekt gefunden hatte, das er noch nicht kannte, machte er dem anderen Meldung. Und natürlich kamen wir bald auch wieder auf eine brillante Idee, was Judith betraf. Leise schlichen wir zum Bett unserer Schwester, die noch fest schlief.
    »Hey, Judith, wach auf! Wir haben eine Überraschung für dich«, rief ich ausnehmend fröhlich.
    Judith drehte sich langsam zu mir und murmelte verschlafen: »Wehe dir, wenn das wieder einer von deinen gemeinen Tricks ist …« Mit skeptischem Blick öffnete sie ihr Moskitonetz und kletterte heraus. Christian hinter mir versuchte verzweifelt, sich das Lachen zu verkneifen.
    »Komm mit! Mama und Papa sind auch schon auf!«, lockte ich mit meiner unschuldigsten Stimme. Judith folgte mir verträumt an die Küchentür, wo ich losprustete: »Schau mal,

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