Dschungelkind /
später bewegte sich die Beute nicht mehr … In diesem Augenblick rief mich meine Mutter. Mit einem letzten Blick auf das Spektakel rannte ich widerstrebend nach Hause, und als ich wieder zurückkam, hatte die Spinne den Vogel komplett in ihr Netz eingewickelt und saß auf ihm.
Mit einer Art Lust am Grauen freute ich mich schon darauf, diese Spinne, die ich inzwischen Rainbow nannte, in den nächsten Tagen und Wochen weiter zu beobachten – doch als ich am Morgen danach wieder zu dem Busch kam, war nichts mehr zu sehen. Alles weg … die Spinne, das Netz und auch der Vogel. Ob ein Fayu oder ein Raubtier dafür verantwortlich war, kann ich nicht sagen, und ich war im ersten Augenblick natürlich furchtbar enttäuscht. Aber wer weiß, vielleicht war es zu meinem Besten? Niemand kann wissen, was die Riesenspinne in meiner Tiersammlung angerichtet hätte – und es gab Gott sei Dank noch so viel anderes, nicht minder Aufregendes, was die Aufmerksamkeit eines Dschungelkindes in Anspruch nahm.
Pfeil und Bogen
C hristian und ich spielten draußen wieder einmal mit Pfeil und Bogen. Wir waren größer geworden, waren aus den Geräten, die Tuare uns geschenkt hatte, »herausgewachsen« und hatten mit der Hilfe unserer Freunde größere Bogen gebastelt. Jetzt mussten noch neue Pfeile hergestellt werden.
»Sabine, hilf mir mal, meine Saite zu spannen«, forderte mich Christian auf.
»Nein, ich will jetzt nicht, ich muss meinen erst fertig machen«, gab ich zurück.
Er wurde wütend und nervte weiter, bis ich endlich irritiert seinen Bogen nahm und anfing, ihn zu spannen. Wir hatten uns schon den ganzen Tag gestritten und waren dementsprechend schlechter Laune. Wie ich mich so mit seinem Bogen abmühte, nahm Christian den meinen und fing an, damit zu spielen.
Ich wurde wütend. »Babu, leg das hin, das gehört mir!«, schrie ich ihn an und drehte mich wieder zu meiner Arbeit.
Plötzlich spannte Christian einen Pfeil in meinen Bogen und schoss auf mich. Der Pfeil traf mich mit hoher Geschwindigkeit direkt in den Arm, bohrte sich durch bis zum Knochen. Ich schrie wie am Spieß, fing an zu weinen und rollte auf den Boden. Papa kam angerannt. Er sah sofort, was passiert war, und zog erst einmal den Pfeil aus meinem Arm.
Christian stand daneben. »Es war ein Unfall, es war ein Unfall!«, schrie er voller Entsetzen.
Stolz auf Pfeil und Bogen: Sabine (ganz rechts) mit Tuare (Mitte) und Christian
»Nein«, schrie ich zurück, »du wolltest mich umbringen!« Die Wunde brannte wie Feuer.
Papa war außer sich vor Wut, nahm all unsere Pfeile und brach die Spitzen ab. Inzwischen hatten sich mehrere Fayu um uns versammelt und beobachteten gespannt, wie es war, wenn zur Abwechslung einmal bei der weißen Familie der Haussegen schief hing.
Papa trug mich in mein Bett, ich weinte nach wie vor, und Christian lief hinter uns her, ebenfalls laut heulend. Mama schimpfte ihn aus und verband meinen Arm.
Einen Monat lang durften wir keine Spitzen an unseren Pfeilen haben. Danach wuchs Gras über die Sache. Das Verrückte an dieser Geschichte war, dass niemand ihr größere Bedeutung beimaß, und das war gut so. Wenn ich mir einen ähnlichen Vorfall in Hamburg oder Zürich vorstelle! Ich aber hatte damals keinen Moment das Gefühl gehabt, dass Christian mit böser Absicht geschossen hatte. Es war ein Kinderunfall im Dschungel – weiter nichts. Und bald hatten wir auch wieder Pfeile mit Spitzen.
Für die Fayu waren Pfeil und Bogen die wertvollsten Güter. Sie gebrauchten sie zum Jagen, zur Verteidigung und um Rache zu nehmen. Der Bogen wird der Körpergröße angepasst. Die Männer haben Bogen, die bis zu einem halben Meter länger sind als sie selbst. Sie werden aus einem bestimmten Holz angefertigt und danach mit einem Bambusriemen gespannt.
Pfeilspitzen gibt es in drei Varianten: eine Holzspitze, eine Bambusspitze und eine aus Knochen. Die Holzspitze, genannt
Zehai,
dient zum Erlegen von kleinen Tieren und Vögeln. Der
Bagai-
Pfeil, aus breitem Bambus, ist für Wildschweine und Straußenvögel bestimmt. Die Breite bewirkt, dass das Tier schneller verblutet. Und
Fai
schließlich ist die Spitze für den Pfeil, der Menschen tötet. Sie wird aus Känguruknochen hergestellt.
Der Bogen wird gern mit Federn von verschiedenen Vögeln dekoriert, als Jagdtrophäen. In den Pfeilschaft ritzen die stolzen Besitzer Zeichen ein, um keinen Zweifel an der Identität des Jägers zu lassen. So entstehen zum Teil wirklich wunderschöne
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