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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Wasser zu sagen, musst du
Di
aber mit hoher Stimme sagen! Ein anderer Ton bedeutet auch etwas anderes.«
    Ich drehte mich zu Tuare, und in den höchsten Tönen, die ich zustande bringen konnte, sagte ich: »
Di,
Tuare!«
    Er strahlte mich an, und in null Komma nichts hatte ich mein Wasser. So mussten wir nicht nur neue Wörter lernen, sondern auch noch fünf verschiedene Tonlagen dazu.
     
    Kurz zusammengefasst: In der Fayu-Sprache gibt es drei Tonlevel: einen Hochton, der schriftlich mit/1/markiert ist, einen mittleren Ton, den man mit/2/markiert, und einen Tiefton, der mit/3/bezeichnet ist. Also:
    Di
/1/ – Wasser
    Di
/2/ – Messer
    Di
/3/ – Wildschwein
     
    Ferner gibt es zwei fallende Tonkombinationen: einen Hoch-Tief-Ton, also/1–3/, und einen Mitte-Tief-Ton,/2–3/:
    Sa
/1–3/ – Blatt
    Sa
/2–3/ – Vogel
    Kue
/1–3/ – Dorn
    Kue
/2–3/ – Feuer
     
    Andere Beispiele für Wörter, die gleiche Buchstabenkombinationen haben und doch durch einen anderen Ton eine neue Bedeutung bekommen:
    Fu
/1/ – Kanu
    Fu
/1–3/ – Balken
    Kui
/3/ – Großvater
    Kui
/1–3 – Botschaft
     
    Satzkombinationen mit der Tonmarkierung sehen etwa so aus:
    A
/3/
tai
/2–3/
da
/2/
re
/3/ – Ich Ei habe gegessen.
    A
/3/
fe
/2/
ri
/2/
ba
/2/
ri
/3/ – Ich Fisch habe gesehen.
    De
/3/
boi
/3/
da
/2/
re
/3/ – Du gestern hast gegessen.
     
    Das Vokabular der Fayu-Sprache ist sehr begrenzt. Alles hat mit dem Urwald zu tun, mit Pflanzen, Tieren, Tätigkeiten und so weiter. Es gibt zum Bespiel kein spezielles Wort für Entschuldigung, Danke oder Hallo. Ein Wort, das all diese Bedeutungen beinhaltet und dazu noch viele andere, ist
Asahägo.
Damit drückt man auch Guten Morgen, Guten Abend, Gute Nacht und Auf Wiedersehen aus.
    Ja heißt
Bau
und nein
Hau. Kaha
heißt gut und
Fäi
schlecht.
Sabine awaru kaha
bedeutet: »Sabines Herz ist gut«, sagen kann man damit aber auch: »Mir geht es gut«, oder: »Ich bin glücklich«, oder: »Ich bin ein guter Mensch und habe nichts Schlechtes getan.«
    Alle Wörter der Fayu-Sprache enden mit einem Vokal: Aus Doris, dem Namen meiner Mutter, wurde Doriso, und Klaus, Papas Name, wurde zu Klausu.
    Mein Vater hat in jahrelanger Kleinarbeit ein Wörterbuch erstellt, das jedoch noch nicht veröffentlicht ist. Es dauert zwischen zwanzig und dreißig Jahren, eine Sprache von Grund auf zu analysieren.
     
    Als Kinder haben wir uns natürlich nicht um diese Details gekümmert. Wenn die Eingeborenen uns nicht verstanden, benutzten wir Hände und Füße, um es ihnen zu erklären, und irgendwie schafften wir es immer, uns zu verständigen. Wenn wir auf etwas kamen, wofür die Fayu keinen Ausdruck hatten, brachten wir ihnen einfach das indonesische Wort bei, und schon war das Problem für uns Kinder gelöst.
    Und so lernten wir neben der Sprache mehr und mehr auch die Kultur der Fayu kennen. Papa brachte uns Kindern bei, sie zu respektieren und uns ihr anzupassen. Das taten wir auch, mehr als meine Eltern erwarteten, so sehr, dass ich mich heute noch dabei erwische, wie ich auf bestimmte Situationen anders reagiere als eine Europäerin. Mein Denken und meine Verhaltensweisen haben sich in vielem niemals geändert.
    Beispielsweise das Schreien. Für mich war es anfangs ein großer Schock, dass sich Menschen hier anschreien, wenn sie wütend sind. Im Urwald wird nur in lebensbedrohlichen Situationen geschrien. Wenn man töten will oder Angst hat, getötet zu werden. Aber plötzlich schreit mich hier jemand an, weil ich vielleicht ein falsches Wort gesagt habe. Manchmal steigt in solchen Situationen in mir heute noch panische Angst auf, auch wenn ich genau weiß, dass keine Lebensgefahr besteht. Dieses in der Kindheit geprägte Verhalten loszuwerden ist sehr schwer für mich gewesen.
    Auch im Alltagsleben spüre ich noch zuweilen, dass ich anders bin. Zum Beispiel kenne ich regelmäßige Mahlzeiten nicht. Meine Mutter hat über all die Jahre versucht, wie eine gute deutsche Hausfrau regelmäßige Mahlzeiten einzuhalten. Doch bald gab sie es auf. Wir aßen nur, wenn wir Hunger hatten, meistens draußen am Feuer auf dem Boden. Und bis heute ist das so: Wir essen immer dann, wenn wir Hunger haben, und oft sitze ich dabei mit meinen Kindern auf dem Wohnzimmerboden. Das wird mir für alle Zeiten lieber sein als ein harter Stuhl vor einem Tisch.

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    C hristian kam eines Tages zu mir gelaufen und war ganz aufgeregt. Er erzählte mir, dass er etwas absolut »Cooles« entdeckt hätte.

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