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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Gelegenheit!
    Mit großem Eifer kletterten wir den kleinen Hügel hinauf. Ich schnappte mir eine Liane, umklammerte sie fest, und mit einem Schrei, auf den Tarzan neidisch gewesen wäre, schwang ich den Hügel hinab. Der Wind brauste, das Grün flog in verschwommenen Streifen an mir vorüber. Dann, für eine Sekunde, blieb ich in der Luft stehen, pendelte aus, und der Rückflug begann. Es ist unglaublich, welch weite Strecke man mit einer Liane zurücklegen kann.
    Nach diesem ersten Versuch ließ ich die Liane los und stand wieder auf festem Boden. Als Nächster kam Christian an die Reihe. Er flog weiter als ich, sein geringeres Gewicht war von Vorteil. Als er wieder neben mir stand, entschied ich mich für eine andere Liane. Es gab so viele, die nur darauf zu warten schienen, mit uns fliegen zu dürfen.
    Doch dann trat der Fall ein, von dem der Autor der Tarzan-Geschichten wohl leider nichts wusste: Nicht alle Lianen sind fest mit ihrem Baum verbunden. Wenn man Pech hat, erwischt man die falsche, diejenige, die oben nicht mehr gut angewachsen ist. Und das genau passierte mir …
    Um noch mehr Schwung zu bekommen, lief ich, so weit ich konnte, rückwärts und rannte los. Ich raste an den Bäumen vorbei, hob vom Boden ab, segelte durch die Luft, und in voller Höhe, mit einem hässlichen Geräusch – riss die Liane. Ich stürzte tief ins Unterholz.
    Einen Moment Stille, dann hörte ich Christians schadenfrohes Gelächter. Ich stand auf, von oben bis unten mit Matsch bedeckt, Blätter und Gräser in meinen blonden Haaren. Jetzt musste auch ich lachen. Ich schaute an mir herab, um sicherzugehen, dass ich mir keine Verletzungen zugezogen hatte, und kletterte erneut den Hügel hinauf.
    Nun prüften wir die Lianen genauestens auf ihre Reißfestigkeit, denn wir wollten etwas anderes ausprobieren – einen Tandemflug. Zuerst diskutierten wir lang und breit, wer denn Tarzan und wer Jane sein sollte. Wir wollten natürlich beide Tarzan sein, doch Christian meinte, als Mädchen sei ich logischerweise Jane. Ich gab zurück, dass es doch wohl ziemlich komisch aussähe, wenn Jane größer als Tarzan wäre. Also müsse ich, als die Ältere, Tarzan sein! Letztendlich entschieden wir uns, die ganze Geschichte zu ändern. Ich war Tarzan, und Christian war der verlorene Bruder Tarzans, den man in den Geschichten vergessen hatte zu erwähnen.
    Wir ergriffen eine dicke Liane, hielten uns beide daran fest und legten los. Doch trotz aller Vorsicht brach auch diesmal unser Seil, und wir landeten lachend auf dem Boden. Jetzt waren wir beide schwarz vor Dreck und hatten uns zum Glück wieder nur kleine Schnitte und blaue Flecken geholt. Hätte uns in diesem Moment jemand gesehen, man hätte uns glatt für Eingeborene gehalten.
    Gerade als wir erneut auf den Hügel klettern wollten, um weiter zu schwingen, näherte sich eine dunkle Gestalt aus dem Urwald. Es war Nakire, die Fayu hatten gepetzt. Aber wir waren so im Glück, dass es uns nicht weiter störte: Wir hatten ein großartiges Erlebnis gehabt.
    Aus dem ungeschriebenen Gesetz wurde an diesem Tag allerdings ein ausdrückliches Verbot – wir durften niemals wieder allein in den tiefen Urwald vordringen, nur mit besonderer Erlaubnis beider Elternteile.
    Und wir gehorchten zukünftig auch, denn die Gefahr, zum Beispiel durch Wildschweine, war einfach zu groß.

Tiersammlung, Teil II
    D ass man zu den verrückten Weißen mit allerlei Tieren kommen konnte und dafür Messer oder Fischhaken bekam, war für die Fayu eine stete Quelle des Vergnügens und der Verwunderung. Dass die Weißen diese Tiere oftmals einfach wieder freiließen, darüber lachten sie noch mehr.
    Als es wieder einmal so weit war und uns ein Fayu, der gerade von der Jagd kam, einen kleinen Papagei brachte, war es für mich Liebe auf den ersten Blick. Diesen kleinen Vogel musste ich unbedingt haben! Aber es gab ein Problem: Mama.
    »Sabine, jetzt muss langsam mal Schluss sein mit deiner Sammlung«, hatte sie mir erst neulich gesagt, als meine Lieblingsfledermaus gestorben war. Ich hatte sie dramatisch und tränenreich begraben und natürlich sofort über Ersatz nachgedacht. Dieser Papagei aber war so süß, da würde selbst Mama nicht widerstehen können, dachte ich mir. Ich hatte mich getäuscht.
    »Nein, nein, nein«, sagte sie entschlossen, »verschont mich! Keine Tiere mehr!« – zumal ausgerechnet an diesem Morgen auch noch Judiths Känguru, Fifi, kleine Häufchen in Mamas frisch bezogenem Bett hinterlassen

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