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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Stelle, die juckte, sah aber keinen Stich. Am nächsten Morgen im Sonnenlicht schaute ich genauer hin und erkannte sofort die charakteristische Rötung. Ich rannte zu Mama, weinte und dachte, nun sei ich für den Rest meines Lebens von diesem schrecklichen Hautpilz entstellt. Ringwurm war langweilig, hatte keinen Abenteuerwert wie fehlende Gliedmaßen und juckte zudem wie wahnsinnig. Mama beruhigte mich und holte eine Creme, die sie jeden Morgen und jeden Abend auftrug, bis die Sache ausgestanden war. Ich war sehr erleichtert.
     
    Was immer wir hatten, was immer uns passierte – irgendeine Lösung oder Linderung würde Mama finden. In diesem Vertrauen wuchsen wir Kinder im Dschungel auf. Und meine Mutter tat ihr Möglichstes, um auch die Fayu an ihrem Wissen teilhaben zu lassen.

Vergeben lernen
    W ir hatten wieder einmal ein köstliches Stück Krokodilschwanz bekommen; Papa hatte es gegen einen Topf eingetauscht. Das Wasser lief uns schon im Mund zusammen. Wir zündeten hinter unserem Haus ein Feuer an und legten das Fleisch auf dem Holzgestell über die Flammen, um es zu räuchern. Einige Stunden würden wir noch warten müssen, bis wir es genießen konnten.
    Mama war hinten im Haus und wollte etwas holen. Zufällig fiel ihr Blick aus dem Fenster, von wo aus man das brutzelnde Fleisch sehen konnte.
    Da plötzlich kam ein halbwüchsiger Fayu aus dem Urwald, der Sohn von Häuptling Baou. Er schaute sich vorsichtig um und schlich sich langsam zum Feuer. Natürlich hatte er Mama nicht gesehen, die alles vom Fenster aus beobachtete. Blitzartig schnappte er sich ein Stück Fleisch und wollte damit abhauen.
    Mama war völlig perplex und rief laut: »Hey!«
    Der Junge sah sich erschrocken um, warf das Fleisch wieder zurück auf das Holzgestell und rannte in den Urwald.
    In kürzester Zeit wussten alle, dass jemand uns etwas stehlen wollte. Häuptling Baou hatte seine Hütte ungefähr dreihundert Meter von unserem Haus entfernt im Urwald gebaut. Wir hörten seine Schreie, als er erfuhr, was sein Sohn getan hatte. Denn nach Fayu-Bräuchen war Papa jetzt berechtigt, die Tat zu rächen. Häuptling Baou bangte um seinen Sohn, sah ihn schon als verloren an.
    Christian und ich mit Häuptling Baou (links) und Ohri (rechts)
    Wir hingegen saßen an unserem Holztisch und überlegten, was wir am besten tun sollten.
    Da sagte Mama: »Klaus, weißt du was, in der Bibel steht schließlich, wenn jemand dir was wegnimmt, dann gib ihm noch etwas dazu. Hier ist ein schönes Stück Krokodilfleisch – warum bringst du es nicht einfach dem Häuptlingssohn und sagst ihm, dass wir nicht böse auf ihn sind?«
    Wir nickten und fanden die Idee gut. Gerade hatten uns andere Fayu erzählt, dass der Junge sich im Urwald versteckte, in panischer Angst vor seinem Vater und vor uns, denn er wusste nicht, was wir mit ihm vorhatten.
    Papa ging los, ich folgte ihm. Wir schlenderten den kleinen Urwaldpfad hinunter bis zu Häuptling Baous Hütte. Die ganze Familie saß dort zusammen, und als sie uns sahen, kam Unruhe auf. Papa fragte Häuptling Baou, wo sein Sohn sei, er wolle ihn sprechen. Ich schaute dem Häuptling ins Gesicht; nie hatte ich diesen mächtigen Mann so traurig gesehen.
    Der Sohn trat langsam aus dem Urwald. Er zitterte am ganzen Leibe, hatte wahnsinnige Angst. Papa ging auf ihn zu und tat nun das, was keiner erwartete: Er nahm den jungen Fayu in den Arm, sagte ihm, dass er nicht böse sei, und um dies zu beweisen, habe er ihm ein großes Stück Fleisch mitgebracht. Die ganze Familie starrte Papa verständnislos an. Keiner wusste, was er sagen oder tun sollte. Der Sohn nahm das Fleisch und verschwand wieder im Wald.
    In diesem Augenblick änderte sich etwas im Herzen von Häuptling Baou. Dieser Mann hatte niemals Gnade oder Vergebung gekannt und war durch seine unvorstellbare Brutalität zum gefürchtetsten Krieger unter den Stämmen der Umgebung geworden. Was der weiße Mann tat, war ihm vollkommen fremd. Doch es war eine Geste, die später dazu führte, dass Häuptling Baou zum Friedensträger wurde. Er schaute Papa an, Tränen in den Augen. Keiner sagte ein Wort.
    Als wir wieder zum Haus zurückkehrten, wurde mir einmal mehr Papas Lebensprinzip klar, das Grundprinzip seiner Arbeit: dass die Liebe stärker ist als der Hass und dass wir nicht durch große Worte, sondern nur durch unsere Lebensweise, unser eigenes Verhalten, die Herzen dieser Menschen ändern können.
    Wie ich so hinter ihm herlief, wurde mir bewusst, dass ich gerade etwas

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