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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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ganz Besonderes erlebt hatte. Nur eine kleine Geste – aber für dieses vergessene, von Hass und Vergeltung geprägte Volk war es ein Schritt auf dem Weg zum langersehnten Frieden.
    Viele Rückschläge gab es noch durch die Jahre. Vergebung und friedlichen Umgang kann man nicht von einem auf den anderen Tag lernen. Heute jedoch leben die Fayu in Frieden, abgesehen von den Konflikten, die es überall gibt, wo Menschen zusammenleben. Doch sie haben gelernt, diese Konflikte anders zu bewältigen und gemeinsam Lösungen zu suchen.
    Es war nicht immer leicht, und es gab Tage, an denen nicht nur wir, sondern auch die Fayu entmutigt und niedergeschlagen waren. Sie gaben aber nicht auf: Sie waren ein Volk, das ein gemeinsames Ziel gefunden hatte und gemeinsam kämpfte, um dieses Ziel zu erreichen.
     
    Es war auch nicht das letzte Mal, dass die Fayu uns etwas stahlen. Jedes Mal, wenn wir aus Danau Bira zurückkehrten, fehlte ein Teil unserer Sachen, die wir im Haus zurückgelassen hatten. Tief im Dschungel Ersatz zu finden war langwierig und oft unmöglich. Es war eine schwierige Situation für Mama und Papa. Immer von neuem hofften sie, dass sich die Fayu ändern würden, immer wieder mussten sie enttäuscht feststellen, dass es – noch – nicht der Fall war. Doch meine Eltern hielten durch.
    Manchmal hatte es ja auch seinen Reiz, wenn ein Häuptling oder Krieger plötzlich in Mamas Unterhose herumlief oder den Schlüpfer als Hut auf dem Kopf trug. Die Fayu stahlen übrigens mit Leidenschaft die Nägel aus Papas Handwerkszeug. Papa wunderte sich immer, was sie wohl damit anfingen. Eines Tages sahen wir es: Sie benutzten sie als Nasenschmuck!
     
    Nicht lange nach der Begebenheit mit Häuptling Baous Sohn passierte wieder etwas. Papa war mit seinem Boot gerade aus dem Dorf Kordesi zurückgekehrt, wohin uns ein Flugzeug wichtige Waren aus der Hauptstadt geliefert hatte. Dazu gehörte auch ein neuer blauer Plastikeimer, den wir dringend brauchten, zum Wasserholen, Wäschewaschen und vielem mehr. Mama konnte es kaum erwarten.
    Papa reibt die Stirn mit Nakire, eine Freundschaftsgeste
    Ein junger Fayu-Mann war zum Boot gekommen und fing an zu betteln. Er wollte ein Messer haben, doch Papa hatte keins mehr und bat ihn zu warten, bis er neue bekam. Der junge Mann drehte sich um und ging davon. Er war wütend, und nach einigen Metern blieb er abrupt stehen, hob einen Stein auf und warf ihn mit voller Wucht auf Papa. Der Stein verfehlte meinen Vater gottlob, doch stattdessen traf er den neuen blauen Eimer und zerbrach ihn. Das war zu viel selbst für Papa. Er kochte vor Wut und rannte hinter dem jungen Mann her, wollte ihn zur Rechenschaft ziehen, konnte es einfach nicht fassen, dass dieser lang ersehnte Eimer schon wieder kaputt war.
    Noch im Laufen bemerkte er, dass alle Fayu in ihren Tätigkeiten innehielten und ihn beobachteten. Sie dachten wohl gespannt bei sich: »Schaut euch den Klausu an. So wild haben wir ihn ja noch nie gesehen. Er wird jeden Moment explodieren.«
    Papa hatte den Fayu-Jungen fast eingeholt, da ging eine plötzliche Veränderung in ihm vor. Die Wut verschwand, und etwas wie Ruhe trat an ihre Stelle. Es war ein Geschenk des Himmels, wie Papa mir später erzählte. In diesem Moment wurde ihm bewusst, was Vergebung wirklich bedeutet.
    Als er den Jungen endlich erreicht hatte, fasste er ihn freundschaftlich am Arm und rieb seine Stirn an der des anderen – das Fayu-Zeichen für Verbundenheit. Die Fayu-Zuschauer blickten erstaunt und überrascht. Wieder hatten sie ein zunächst unfassbares Beispiel für Vergebung erlebt.
    Diese Geschichte bringt mich jedoch auch auf meine Mutter. Ich weiß nicht, ob man die Wichtigkeit eines Eimers im Dschungel ermessen kann, wenn man in der Sicherheit aufgewachsen ist, dass alles schnell ersetzbar ist. Ein Eimer ist nur ein Eimer. Doch stell dir vor, du lebst im Dschungel, hast kein Wasser mehr in der Regentonne, kannst die Toilette nicht spülen, musst alles Wasser vom Fluss zum Haus transportieren. Du musst deine Kleidung waschen, Essen wie Süßkartoffeln oder Ähnliches zum Fluss tragen, um es zu waschen, und so weiter. Alles wird einfacher mit dem Eimer. Und jetzt hast du diesen kostbaren Gegenstand verloren, bevor du ihn überhaupt nutzen konntest. Wieder heißt es improvisieren und andere Lösungen finden, um den Alltag zu meistern.
    Es war nicht einfach für jemanden wie meine Mutter, die in Deutschland aufgewachsen ist und dann mit solchen Gegebenheiten fertig

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