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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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vom Fußboden aufzuwischen.
    Mein erster Gedanke war: ein Schlangenbiss! Nein, es musste ein Krokodil gewesen sein, für eine Schlange war da viel zu viel Blut. Ich schaute meine Schwester mit großen Augen an und flüsterte ängstlich: »Stirbst du jetzt, Judith?«
    Judith schüttelte den Kopf.
    »Hast du dich geschnitten«, fragte ich weiter, »soll ich Papa holen?«
    »Nein!«, rief sie etwas zu laut. Wir schraken beide zusammen. Ich setzte mich vorsichtig neben sie auf den Boden, starrte auf das frische Blut und dachte nach. Nach einigen Minuten fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Judith hatte Krebs! Mama hatte uns erst kürzlich von dieser Krankheit erzählt, weil eine Bekannte daran gestorben war. Und ich hatte Judith in letzter Zeit so viel geärgert, dass sie Krebs bekommen hatte! Jetzt würde sie vielleicht auch sterben, und alles war meine Schuld …
    Ich fing an zu weinen. »Es ist meine Schuld«, schluchzte ich verzweifelt. »Ich bin immer so gemein zu dir und habe dir letzte Woche Würmer unter dein Kopfkissen gelegt, und jetzt hast du dich so aufgeregt, dass du Krebs bekommen hast. Ich werde in die Hölle kommen!«
    Ich schaute völlig verstört zu ihr hinüber, doch zu meinem Erstaunen fing sie an zu kichern. War sie jetzt völlig durchgedreht? Hatte der Krebs schon ihr Gehirn erreicht?
    »Sabine«, kicherte Judith, »ich habe keinen Krebs, ich habe meine Tage bekommen.«
    »Was ist
das
denn?«, fragte ich. Bei so viel Blut konnte es nur etwas Gefährliches sein.
    »Hörst du denn nie zu, wenn dir Mama etwas erklärt?«, fragte Judith entgeistert. »Wenn ein Mädchen älter wird und ihr Körper bereit ist, Kinder zu bekommen, dann blutet sie jeden Monat für ein paar Tage.«
    »Wirst du jetzt ein Baby bekommen?«, fragte ich aufgeregt.
    Entsetzt flüsterte meine Schwester: »Ich hoffe nicht!«
    »Na ja, Christian und ich werden dir jedenfalls morgen eine Hütte im Urwald bauen, so wie es die Fayu machen.«
    Da Judith keinen Mann hatte, beschloss ich, dass Christian und ich auf sie aufpassen würden.
    »Ich will aber nicht allein in den Urwald gehen!«, sagte Judith.
    »Du musst!«
    »Mama geht nicht jeden Monat in den Urwald, also denke ich mal, dass ich es auch nicht muss«, erwiderte Judith.
    Darüber musste ich erst nachdenken. Judith hatte Recht. Warum ging Mama nicht in den Urwald, wenn sie ihre Tage hatte? Ich wollte unbedingt so eine kleine Hütte bauen, und dies war meine Gelegenheit. Mama war nicht da, und Papa konnte man immer leicht von allem überzeugen. Es ging schließlich um das Wohlergehen meiner Schwester!
    Da fiel mir noch etwas ein. »Aber, Judith, warum hast du noch keinen Mann?«
    »Weil ich zu klein bin«, war ihre Antwort.
    »Aber Mama sagt doch, dass die Fayu-Mädchen schon mit neun oder zehn gestohlen werden. Warum hat dich denn keiner gestohlen?«
    »Weil ich kein Fayu-Mädchen bin, und in Deutschland ist man viel älter, wenn man heiratet. Mama war neunundzwanzig, als sie Papa geheiratet hat!«
    »So alt?«, fragte ich entsetzt.
    Judith grinste. »Außerdem habe ich keine Lust zu heiraten«, sagte sie. »Immer arbeiten, Sago machen und auf Kinder aufpassen … Außerdem will ich keine großen Brüste bekommen.«
    Da musste ich meiner Schwester Recht geben. Das hörte sich wirklich nicht sehr verlockend an.
    »Ich heirate auch nicht«, sagte ich entschlossen, »Ich will auf einer Farm leben und viele Tiere haben.«
    Judith seufzte. »Hilfst du mir beim Saubermachen?«, fragte sie schließlich.
    Judith und Christian am Frühstückstisch
    Ich nickte. Zusammen wischten wir im Kerzenschein den Boden auf und überzogen Judiths Bett mit frischen Laken.
    »Gute Nacht«, flüsterte ich schließlich durch mein Moskitonetz.
    »Danke schön«, flüsterte Judith zurück.
     
    Am nächsten Morgen weigerte sich Judith aufzustehen. Als Papa sie zum dritten Mal ungeduldig zum Frühstückstisch rief, konnte ich die Neuigkeit nicht mehr bei mir behalten.
    »Judith hat ihre Tage bekommen«, flüsterte ich ihm zu.
    Er schaute mich nur groß an, und ich nickte eifrig mit dem Kopf. »Jetzt müssen Christian und ich ihr eine Hütte im Urwald bauen.«
    »Wird sie sterben?«, fragte Christian ängstlich.
    »Nein«, seufzte Papa vor sich hin, »sie wird nicht sterben, und hoffentlich werde auch ich es überleben!«
    Nach dem Frühstück schaltete er das Radio an. »Foida hier, Foida hier, wir haben einen Notfall, ich muss dringend eine Nachricht nach Jayapura durchgeben.«
    »Klaus, hier ist

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