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DSR Bd 4 - Das Schattenlicht

DSR Bd 4 - Das Schattenlicht

Titel: DSR Bd 4 - Das Schattenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
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Schuld verzehrt. Er hatte den Gegenstand seiner großen Suche erhalten – die Karte war unbeschädigt und sicher verstaut –, doch er hatte versagt. Mit der kristallenen Klarheit einer späten Einsicht konnte er es jetzt sehen: Arroganz, Dummheit, Stolz und Unverstand hatten alle eine schändliche Rolle in dieser Katastrophe gespielt. Doch Stolz war sicherlich der Hauptschuldige. Charles der Große war majestätisch in Ägypten eingeschwebt und hatte erwartet, dass die niedrigen Eingeborenen herbeigerannt kamen, um nach seiner Pfeife zu tanzen, bei jeder seiner Launen ihm zu dienen und ihre Rücken zu beugen, damit sie ihm zu seinem Ruhm verhalfen, während er seinen Gewinn einsammelte. Doch er kannte keine andere Sprache als die des Mammons, kannte keine andere Kultur als die des Marktplatzes. In seinem Herzen hatte er trompetet: Ich bin ein Flinders-Petrie! Was brauchte man mehr?
    Die Scham über jene grotesken Annahmen führte dazu, dass ihm das Gesicht brannte, was nur eine matte äußerliche Widerspiegelung des Feuers der Beschämung war, das in seiner Seele brannte. Er war ein wichtigtuerischer, eingebildeter Dummkopf gewesen, ein ungehobelter, starrköpfiger, gedankenloser Einfaltspinsel, ein vollkommen mit sich selbst beschäftigter, ichbesessener, egozentrischer, eigensüchtiger Rüpel – und er hatte sich den Arm gebrochen und die Seele gebrochen, um das unter Beweis zu stellen. Unter diesen Umständen, befand Charles, hatte er Glück gehabt, dass er mit einer bloßen Verletzung entkommen war, so schmerzhaft sie auch sein mochte. Knochen konnten wieder heilen. Er war sich nicht sicher, ob es ein Heilmittel gegen Selbstüberschätzung gab – gegen den blinden, arroganten Stolz, der unerbittlich zur Zerstörung seines menschlichen Behältnisses führte.
    Er war in dem Schlammloch seines Schamgefühls versunken, als ihm ein unerwarteter Gedanke in den Sinn kam: Vielleicht war sein knappes Entkommen von einer allwissenden Vorsehung gebilligt worden, um ihm eine zweite Chance einzuräumen und ihm zu ermöglichen, Angelegenheiten richtigzustellen, Wiedergutmachung zu leisten, Dinge zu ändern. Also gut. Falls Wiedergutmachungen geleistet werden konnten, würde er es tun. Er würde sich demütigen und lernen, was erforderlich war – was auch immer das sein mochte. Die Sprache und Kultur der Leute? Die Geografie des Landes und sein Klima? Er würde sich Zeit nehmen, um sie zu studieren und sie zu beherrschen. Was auch immer es kostete, dieses Wissen zu erlangen – oder, wie er es sah, diese neue Demut –, er würde es mit Freuden bezahlen.
    Im Verlauf der nächsten paar Tage – während er die Familien der Männer besuchte, die ihr Leben verloren hatten, und den Witwen Geld anbot – verfestigte sich in Charles die Überzeugung, dass er nicht nur etwas verändern konnte, sondern dass die notwendige Veränderung bereits begonnen hatte. Es hatte angefangen mit der Erkenntnis, dass ein neues und zerknirschtes Herz erforderlich war. Und nachdem er einen Anfang gemacht hatte, würde er sich jetzt dieser Revolution in seiner Seele verschreiben. Er würde der Anführer des Aufstands werden. Außerdem würde er sich das Recht auf den Titel Sekrey verdienen.
    Das nächste Mal, wenn er eine Expedition auf die Beine stellte – wohin auch immer die Meisterkarte ihn führen mochte –, würde er tatsächlich ein Kapitän sein.

FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL

    D as Problem, so wie ich es sehe, ist eine Frage der Wiederherstellung des Gleichgewichts.« Brendan Hanno hielt inne, um die Stimmung seiner Zuhörer zu beurteilen. Hohläugig, verstört und mit angespannten Mienen blickten sie ihn an und begegneten seiner Erklärung ohne jede Begeisterung. Der Tag war nicht gut verlaufen, jeder war müde und verstimmt. »So einfach ist das«, fügte er hinzu und wünschte augenblicklich, er hätte dies nicht getan.
    Tony Clarke hatte schnell eine Entgegnung parat. »Wenn es so einfach ist – was machen wir dann hier?«
    »Einfach mag es sein«, antwortete Brendan in erschöpftem Ton. »Ich habe allerdings nicht gesagt, es würde leicht und mühelos sein. Gott weiß, es wird nicht leicht sein.«
    »Sie haben es höchst prägnant formuliert, meine Freund«, sagte Gianni, der versuchte, erhitzte Gemüter zu besänftigen. »Der nächste Schritt muss sein, zu entdecken, was dieses Ungleichgewicht verursacht hat. Sobald wir das wissen, werden wir in der Lage sein, zu beurteilen, was unternommen werden kann, um die Sache wieder ins

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