DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
ihr nieder. »Es ist ein Fehler – eine Versuchung, und wir müssen ihr widerstehen. Siehst du das denn nicht? Die Geheimnisse seiner Arbeit sind eine Gefahr für jeden, der sie besitzt. Es bringt nichts als Trauer und Leid. Du hast gesehen, was geschehen kann.« Sie führte eine Hand zur Wange ihres Sohnes und wandte sein Gesicht zu ihr. »Du weißt: Was ich sage, ist wahr.«
Benedict, der immer noch schwer angeschlagen vom Verlust seines Vaters und von den Umständen seines Todes war, akzeptierte das Urteil seiner Mutter, doch er war unwillig, einfach einzulenken. »Ich weiß, doch es scheint nicht richtig zu sein. Vater hat so viel durchlitten und so viel in Erfahrung gebracht – dass es einfach so enden sollte …« Er wies mit der Hand zu dem bleichen, flachen Pergament auf dem Tisch. »Er verdient etwas Besseres als das.«
Xian-Li schwieg für einen langen Moment und blickte ihren Sohn an. »Vielleicht hast du recht«, räumte sie ein. »Vielleicht können wir etwas Besseres tun. Ich möchte auf traditionelle Weise von meinem Geliebten Abschied nehmen. Ich möchte sein Grabmal sehen – möchte wissen, wo er begraben ist – und als Gattin ihrem Ehemann die letzte Ehre erweisen.«
»Nach Ägypten zurückkehren, meinst du.«
»Wir werden nach Ägypten zurückkehren«, erklärte Xian-Li, »und wir werden das Pergament mit uns nehmen. Wir werden es zu Arthur zurückbringen. Das ist der Ort, wo es hingehört.« Sie drückte Benedict in einer mütterlichen Umarmung an sich, und eine Zeit lang hielten sie sich gegenseitig fest; jeder der beiden zog Trost aus der lebendigen Wärme des anderen. »Du musst mir ein Versprechen geben, Beni«, flüsterte Xian-Li.
»Alles«, erwiderte Benedict.
»Du musst versprechen, niemals das Geheimnis der Arbeit deines Vaters irgendjemandem zu offenbaren – nicht einmal deinem eigenen Fleisch und Blut.«
Als er keine Antwort darauf gab, beharrte sie darauf. »Versprich es mir, mein Sohn.« Sie wich zurück, um ihm in die Augen zu sehen. »Ich will die Worte hören.«
»Bei meinem Leben verspreche ich«, sagte Benedict, der einen feierlichen Tonfall annahm, »niemals das Geheimnis der Arbeit meines Vaters einer anderen lebendigen Seele zu offenbaren.«
Sie hob eine Hand und legte die Innenseite an sein Gesicht. »Dann ist es abgemacht. Wir werden Arthur die Haut zurückgeben, und wenn das getan ist, wird dies das Ende davon sein.«
NEUNTES KAPITEL
E ine Rückkehr zum Knochenhaus bedeutete, einen Weg zurück in die Steinzeit zu finden, und Kit war entschlossen, dieses Mal für die Reise besser vorbereitet zu sein. Da er die Bedingungen, denen er gegenüberstehen würde, nur allzu gut kannte, war er entschlossen, sich so gut er konnte auszurüsten, und entschied, dass ein robustes Paar Schuhe an erster Stelle auf der Liste stand. Er hatte etwas Stabiles im Sinn, mit hohen Seitenteilen und dicken Sohlen, die für lange Wanderungen geeignet waren. Die Schuster von Prag waren mehr als glücklich, hierin seinem Wunsch zu entsprechen. Wie Kit jedoch rasch erfuhr, war das nicht so einfach wie wenn man ein Paar vom Regal auswählte und es sich anzog, um darin ein Tänzchen durch den Laden zu machen. Und während Kit zahlreiche Varianten hatte, aus denen er auswählen sollte – jeder Schuster hatte Muster und Spezialitäten –, so würde sein Einkauf doch nur als Handarbeit zu bestellen sein; und das fertige Produkt würde ein paar Tage brauchen, bis es hergestellt war.
Zu guter Letzt suchte sich Kit einen entgegenkommenden Handwerker mit einer Kollektion in Jagdstiefeln aus. Er erlaubte es, dass sein nackter Fuß gemessen wurde, und nachdem er mithilfe von Gesten und verstümmelter Sprachkenntnisse des Deutschen die Bedeutung einer guten, dicken Sohle hervorgehoben hatte, überließ er den Schuhmacher seiner Arbeit. Nach erfüllter Mission schlurfte Kit gerade über den Platz, als er glaubte, eine nur allzu vertraute Stimme zu hören, die seinen Namen rief. »Kit! Kit Livingstone!«
Die Laute brachten ihn zum Stehen. Er schaute sich um, und da stand Haven Fayth, die augenscheinlich aus den feuchten braunen Gehwegplatten des Platzes entsprungen war.
»Auf ein Wort«, sagte sie, ihre Stimme ein honigsüßes Säuseln. »Das ist eine ganz und gar angenehme Überraschung, muss ich sagen.«
»Haven …«, intonierte Kit stumpfsinnig. »Wo kommst du denn her?«
»Du lieber Himmel, Kit; begrüßt du etwa so eine Freundin?«
»Ich werde es dich wissen lassen, wenn ich eine sehe«,
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