DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
»Dorthin brachte mich dein Vater, als ich es nicht schaffte, mich von dem Fieber zu erholen.«
»Dann hätte ich ihn vielleicht retten können? Wenn ich gewusst hätte, wo dieser Ort zu finden ist, hätte ich ihn möglicherweise retten können?« Sein Kopf senkte sich erneut, als der Kummer ihn ein weiteres Mal überwältigte. »Wenn du doch nur dort gewesen wärst, Mutter! Wenn du dort gewesen wärst, hätten wir ihn retten können.«
»Das darfst du nicht denken«, sagte sie zu ihm mit fester Stimme. »Selbst wenn ich dort gewesen wäre – es ist zweifelhaft, ob ich irgendetwas mehr hätte tun können, um ihm zu helfen. Ich erinnere mich an nichts, was geschah, als ich aus dem Leben schied. Ich entsinne mich lediglich daran, in einer Welt schlafen gegangen und in einer anderen aufgewacht zu sein. Was ich von der Seelenquelle weiß, ist mir von Arthur berichtet worden.« Sie griff nach der Hand ihres Sohnes und umklammerte sie. »Was auch immer sich dort ereignet hat, ist nun für immer verloren.«
»Warum?«, fragte Benedict.
»Weil dein Vater gestorben ist, mein Sohn. Alles, was er wusste – die Welten, die er besuchte, die Orte, die er liebte …« Traurig schüttelte sie ihren Kopf. »Verloren.«
»Es ist nicht verloren, Mutter.« Benedict erhob sich von seinem Stuhl und sagte: »Warte hier einen Augenblick.«
Er verschwand im angrenzenden Zimmer, und als er einen Moment später zurückkehrte, hatte er ein zylindrisches Päckchen bei sich, das in Leinen eingewickelt und mit einer geflochtenen Bastkordel zusammengebunden war. Er trug es auf seinen Handflächen und legte es in den Schoß seiner Mutter, als würde er eine heilige Opfergabe darbringen. Sie betrachtete das Päckchen und blickte ihren Sohn fragend an.
»Öffne es«, wies er sie an.
Xien-Li schnürte die Kordel auf, nahm das leinene Umschlagtuch fort und enthüllte so eine Rolle aus dünnem Pergament, die sie vor sich auf den Tisch legte und auseinanderrollte. Ein flüchtiger Blick auf die Oberfläche – und was dort eingezeichnet war, brachte sie dazu, sich kerzengerade aufzusetzen. Sie stieß einen Schrei der Bestürzung aus, und ihre Hände fuhren zitternd zu ihrem Gesicht.
Sie starrte auf die Pergamentrolle mit weiten, entsetzten Augen – und dann auf ihren Sohn. »Ist das …?«
Benedict nickte.
»Aber wie?«
»Ich hatte nichts damit zu tun«, entgegnete er. Dann berichtete er, wie aufgrund seines Unvermögens, Ägyptisch zu sprechen, seine Anfrage missverstanden worden war, als er um eine Kopie der Tattoos seines Vaters gebeten hatte. »Das hier haben sie mir stattdessen gegeben.«
»Seine Haut?«, rief sie und schüttelte ungläubig ihren Kopf, während sie auf den Gegenstand starrte. »Wie konnten sie das tun?«
»Das vermag ich nicht zu sagen, aber sie haben es getan.« Während er sich neben seiner Mutter hinkniete, fügte er hinzu: »Du verstehst, was das bedeutet?«
Xian-Li streckte zögernd die Hand aus und glättete den papierähnlichen, dünnen Gegenstand sanft mit ihren Fingerspitzen.
»Mutter, es bedeutet, dass nichts verloren ist. Wir haben immer noch Hoffnung.«
Sie blieb still. Stumm betrachtete sie die ausgebreitete Rolle, so wie sie auf dem Tisch lag. Solch ein seltsames, unnatürliches Ding … Es erfüllte sie zu gleichen Maßen mit Faszination und Abscheu.
»Mutter?«, sagte Benedict, der immer noch auf den Knien neben ihr war.
»Nein«, sagte sie mit einem Seufzer – ob aus Resignation oder Bedauern, vermochte Benedict nicht zu erkennen. »Nein, mein Sohn. Dies ist ein Teil von Arthur, und es muss ihm erlaubt werden, mit Arthur zu sterben.«
»Warum? Das verstehe ich nicht.«
Xian-Li gab keine Antwort darauf, doch sie fuhr fort, das pergamentene Dokument anzustarren, das die tätowierte Haut ihres Ehemanns war.
»Sag es mir«, drängte Benedict sie. »Warum müssen wir es aufgeben? Es ist beinahe so, als ob wir es haben sollten, um es zu behalten und zu benutzen. Vielleicht hat Vater uns zugedacht, es zu retten, damit wir sein Werk fortführen können.«
Xian-Li dachte darüber nach. Sicherlich, es war ein seltsames und unnatürliches Ding, und dennoch … Es war hier. Jenseits der Gedanken, Pläne oder Wünsche von irgendjemandem – eine unauslöschliche Aufzeichnung von Arthurs Lebenswerk, getreulich konserviert und in ihren Schoß fallen gelassen.
»Oh, Beni, es ist so gefährlich, und du bist noch so unglaublich jung«, entgegnete sie, und abermals ließ sich die Trauer mit vollem Gewicht auf
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