Du bes Kölle: Autobiografie
weiß, dass »die Bäche«, also der Rothgerber-, der Blau- und der Mühlenbach, alle eins sind: nämlich Abschnitte des Duffesbachs.
Vor dem Krieg haben meine Eltern mit ihren neun Kindern sogar direkt am Bach gewohnt. Das Haus an der Alten Mauer am Bach gehörte zum Griechenmarktviertel. Auch die anderen Mitglieder der Vier Botze wohnten damals mehr oder weniger um die Ecke, aber alles dort, das gesamte Veedel, ist im Krieg völlig zerstört worden. Da stand 1945 gar nichts mehr.
Nach der Evakuierung kehrte meine Familie zurück nach Köln und wohnte zunächst in einem Behelfsheim an der Boltensternstraße. Ich jedoch bin ein reines Sülzer Kind, denn noch vor meiner Geburt kam das Angebot, eine Genossenschaftswohnung in der Lotharstraße zu beziehen. Meine Brüder erzählten mir später, dass auch dieses Haus arg gelitten hatte und sie die Räume mit vereinten Kräften wieder in Schuss gebracht haben.
Inzwischen wohne ich seit über 20 Jahren im Severinsviertel. Das für mich kölscheste Veedel von allen wurde lange Zeit von der Schokoladenfabrik geprägt. Auch meine Schwestern haben dort eine Weile gearbeitet. Die Firma Stollwerck galt als außerordentlich streng, da durfte man nie etwas mitnehmen und wurde am Ausgang kontrolliert. Den Chef nannte man nicht umsonst den Kamellelump, der passte scharf auf seinen Besitz auf. Darüber gibt es sogar ein altes kölsches Lied, das genau so heißt: »Der Kamellelump«:
Ich han ens jejesse
e Stöck Schokolad’.
Do kom der Inspektor, der stramme Soldat.
Hä pack mich beim Weckel
un schmess mich erus.
Jetz han ich kein Arbeit un setze ze Hus.
Trotzdem brachten mir meine Schwestern manchmal Blockschokolade mit. Die war irgendwie anders als das, was man im Laden bekam. Die war zum Beispiel nie richtig eingepackt. Deswegen nehme ich an, die haben sie für mich einfach vom Band geklaut.
111 MARK
Die ersten Ausflüge in die Südstadt unternahm ich immer am Rosenmontag. Denn den Zug sahen wir stets vor einer Kneipe auf der Severinstraße. Schon seit meiner Geburt war ich dem Karneval verbunden, schließlich hieß mein Patenonkel Thomas Liessem.
Liessem war seinerzeit als langjähriger Präsident von Prinzengarde und Festkomitee schon seit Vorkriegszeiten der mächtigste Mann im Kölner Karneval. Als die Vier Botze einmal im Gürzenich auftraten, stellte er sie mit den Worten vor: »Meine Damen und Herren, ob Sie’s glauben oder nicht, derjenige, der hier am unschuldigsten aussieht, der hat schon sage und schreibe neun Kinder. Und das ist der Richard Engel!« Und als das Gelächter und der Applaus verebbten, setzte er meinem Vater die Pistole auf die Brust: »Wenn d’r Storch noch ens kütt un dat ene Jung weed, weeden ich Pattühm!« So jedenfalls erzählte es der Kölner Stadt-Anzeiger 1949 anlässlich meiner Taufe. Ablehnen konnte mein Vater dieses Angebot damals schlecht. Außerdem wird er sich gesagt haben: Schaden kann es auch nichts. Und bei der Taufe wurde dann auch jenes Foto geschossen, auf dem mich Thomas Liessem im Arm hält. Dazu bekam ich ein Sparbuch mit 111 Mark drauf und einer Widmung: »Däm kleine ›Bötzje‹ et eeschte Fahrjeld för dä wigge Wäch en d’r Fastelovend vun singem Pattühm Thomas Liessem.« Später, zur Kommunion, sollte ich noch einmal 111 Mark bekommen. Und eine Jungenuhr von Junghans, die aber direkt in den dunklen Kanälen meiner großen Brüder verschwand. Die galt dann als verschollen und ist nie wieder aufgetaucht.
Thomas Liessem ist 1973 gestorben, da war ich 23. Er war zwar mein Patenonkel, aber richtig viel zu tun hatte ich mit ihm nie. Als ich erfuhr, wie gut er mit den Nazis gestanden hatte, überraschte mich das nicht wirklich. Er trug ja immer diesen kleinen, markanten Schnäuzer. In die NSDAP war Liessem bereits 1932 eingetreten. Ab 1933 hatte er jene Rosenmontagszüge mit zu verantworten, in denen massiv antisemitische Wagen mitfuhren. Er war in der Partei, er hat mitgezogen, das hat ihm Vorteile gebracht. Wie vielen anderen auch. Ich hoffe, dass er sonst nicht viel Böses gemacht hat.
ZIGARREN, PRALINEN UND EIN MODELLSEGELSCHIFF
Zu Lebzeiten war Thomas Liessem nicht nur ein einflussreicher Karnevalist, sondern auch ein reicher Mann. Er führte ein großes Spirituosenunternehmen und arbeitete mit allen möglichen Firmen zusammen. Unter anderem belieferte er Hans Herbert Blatzheim, den »Gastronomie-Zar«. Der Stiefvater von Romy und Mann von Magda Schneider versorgte damals alle großen Sitzungen und sonstigen
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