Du bist das Boese
gewisses Wiederholungsrisiko nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und es deshalb angeraten wäre …«
»Was ich damit sagen möchte, ist Folgendes«, unterbrach Balistreri ihn unwirsch und blickte Trevi direkt in die Augen. »Sollte es bedauerlicherweise ein weiteres Opfer geben und sich irgendeine Verbindung zur ENT herausstellen, würden wir mit größtmöglicher Aufmerksamkeit überprüfen, womit Sie all die Zeit verbracht haben, um die Sie uns gebeten haben.«
Offensichtlich gehörte Trevi, wie Pasquali, zu den Menschen, die daran gewöhnt waren, das Pro und Kontra gründlich abzuwägen. Aus einer verschlossenen Schublade holte er eine graue Mappe mit dem Schriftzug ENT auf dem Deckel und zog ein weißes Blatt mit dem Briefkopf des Treuhandunternehmens hervor.
»Das ist der Treuhandvertrag«, erklärte er. »Ein einziger Aktionär hat uns neunzig Prozent der Anteile an der ENT anvertraut. Ohne ordentliche Kündigung verlängert sich das Mandat automatisch um ein Jahr.«
»Und wer ist dieser Aktionär?«, fragte Corvu ungeduldig.
Trevi, der immer noch ein wenig erschrocken war, wagte ein zaghaftes Lächeln. »Die ENT Middle East, ein Unternehmen in einer free zone in Dubai, in den Arabischen Emiraten.«
Balistreri und Corvu sahen sich verblüfft an. »Aber das Mandat wird doch namentlich unterzeichnet sein«, wandte Corvu ein.
»Gewiss, der Geschäftsführer der ENT Middle East ist ein gewisser Nabil Belhrouz, ein Libanese. Hier sind seine Daten und seine Adresse in den Arabischen Emiraten.«
»Das ist ein Postfach«, erwiderte Corvu.
»Wie es dort so üblich ist. Hier steht aber noch der Finanzier der Gesellschaft, die Free Zone Media City. Und die verfügt auch über eine Adresse.«
»Wie häufig haben Sie denn Kontakt zu diesem Belhrouz?«
»Ich habe ihn noch nie gesprochen oder gesehen«, erklärte Trevi seelenruhig. Angesichts ihrer erstaunten Mienen fügte er hinzu: »Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Keiner unserer Kunden stellt sich persönlich vor. Man setzt ja einen Treuhänder ein, weil man anonym bleiben möchte. Signor Belhrouz’ Unterschrift wurde von einem italienischen Notar beglaubigt, der mit einem Partnerbüro in Dubai zusammenarbeitet.«
Sie ließen sich eine Kopie geben und gingen zum Ausgang. Als sie am Schreibtisch der Sekretärin vorbeikamen, sah Balistreri an Trevis Telefonanlage das Lämpchen für externe Verbindungen aufleuchten.
In Gedanken versunken ging Linda Nardi durch die kalte Luft des frühen Nachmittags. Um das Blut von Frauen scherte sich in Wirklichkeit kein Mensch, diese Schmierenkomödie kannte sie zur Genüge. Die Politiker interessierten sich nicht einmal für eine italienische Tote, geschweige denn für eine kleine rumänische Prostituierte. Und für die Polizisten galt das erst recht.
Und Balistreri? Ein Exfaschist, der für die Justiz arbeitet? Kannst du ihm vertrauen?
An den Hauswänden las man immer häufiger Schmierereien wie »Rumänen = Mörder«, »Roma go home«, »Fackelt die Zigeunerlager ab«. Zwischen Roma und Rumänen wurde kein Unterschied gemacht, im Gegenteil. Die Tatsache, dass das Opfer Rumänin war und der mutmaßliche Mörder ein Angehöriger der Roma, verstärkte die Vorurteile gegen beide gleichermaßen. Auch die Parteien hatten das Thema bereits aufgegriffen. Die Sprüche auf ihren Plakaten klangen zwar zurückhaltender, meinten aber im Kern dasselbe. Die Opposition machte den Kommunalausschuss für die ganze Misere verantwortlich und versprach, die Lager zu räumen, sobald der Machtwechsel vollzogen sei. Und die politische Riege des Bürgermeisters hob hervor, was alles schon unternommen worden sei und noch unternommen werden würde. Wohin man auch sah: Senatoren, Abgeordnete, Beigeordnete, die große Versprechungen machten. In Hinblick auf die Wahlen war der Vorfall für die einen ein gefundenes Fressen, für die anderen eine bittere Pille. Und so mancher Politiker schreckte in seinem Zynismus nicht davor zurück, sich insgeheim eine zweite Samantha Rossi zu wünschen.
In der Redaktion hatte Linda erfahren, dass der Kommunalausschuss für den nächsten Tag eine entscheidende Sitzung einberufen hatte. Zum ersten Mal würde es möglicherweise eine Mehrheit für eine unverzügliche Umsiedlung der Roma-Lager vor die Tore der Stadt geben. Wenn der Kommunalausschuss und der Bürgermeister ein Wahldebakel verhindern wollten, blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig.
Was Linda Nardi vorhatte, würden der Herausgeber und
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