Du bist das Boese
entdecken könnte.«
»Und zwar jemand, der zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass Nadia sterben würde«, ergänzte Corvu.
Balistreri ließ seine finsteren Gedanken weiter in Vergangenheit und Zukunft umherschweifen.
Ein zwielichtiges Milieu, illegale Einwanderer und das Casilino 900. Eine Hure, die benutzt wird, um ein erotisches Date zu filmen. Die Welt der Nachtclubs, der Spielhöllen und des Schwarzgelds. Und die graue Limousine vor dem Bella Blu. Das Szenario kenne ich gut. Aber was hat Samantha damit zu tun, und was die eingeritzten Buchstaben auf den Mädchen?
Plötzlich beschlich ihn die deutliche Vorahnung einer großen Gefahr. Etwas, das in weiter Ferne ins Rollen gekommen war und sich langsam, aber unaufhaltsam näherte.
Was Linda Nardi vorhatte, würde der Herausgeber ihrer Zeitung nicht unbedingt unterstützen und Balistreri mit ziemlicher Sicherheit missbilligen.
Sie durchquerte die sonnendurchflutete Altstadt bis zur Piazza Fontana di Trevi, wo sich kurz nach Mittag wie üblich die Touristen tummelten. Auch hier waren die Mauern mit Graffiti und politischen Parolen beschmiert. Neben dem geschichtsträchtigen Brunnen stand ein Wahlkampfgefährt, von dem ein Gesicht herablächelte: »Augusto De Rossi, stellvertretender Bürgermeister«. Daneben sah man das Casilino 900 mit dem Slogan »Nur Integration stoppt die Gewalt«.
Vor dem Restaurant schaute sie sich um. Hier war Nadia am Abend des 23. Dezember vor Mitternacht herausgekommen. Der Kellner hatte Balistreri gesagt, sie habe sich einen viel zu großen Regenmantel übergeworfen und noch eine Weile vor dem Lokal gestanden. Weil sie nicht wusste, wohin? Möglich, obwohl wenige Meter weiter auf der rechten Seite deutlich das große Schild der U-Bahn-Station Piazzale Flaminio zu sehen war. Nadia aber war kurz darauf in Richtung Piazza del Popolo gegangen, wo es keine U-Bahn gab, aber Taxis. War es möglich, dass sie ein Taxi genommen hatte?
Sie betrat das Lokal. Ein etwas betagter Kellner kam auf sie zu. Sie zeigte ihm ihren Presseausweis. »Sind Sie Tommaso?«
Als der Blick des Kellners zu ihrem Busen wanderte, versuchte sie, ihre Wut zu bändigen.
»Ja, aber die Polizei war schon hier.«
»Ich möchte, dass Sie sich noch einmal genau erinnern«, sagte sie und steckte ihm einen Fünfzigeuroschein zu.
Der Kellner ließ ihn rasch verschwinden. »Was wollen Sie wissen …«
»Ich möchte, dass Sie mir sagen, was das Mädchen gemacht hat, nachdem der Rumäne gegangen war.«
»Wie soll ich mich daran erinnern. Es war so viel los, und ich habe ganz allein bedient …«
»Das Mädchen hat Ihnen gefallen, stimmt’s?« Lindas Ton war freundlich, fast komplizenhaft, ganz auf der Wellenlänge des Kellners.
»Na ja, als dieser Blödmann abgehauen war, dachte ich, sie würde auch gehen. Aber sie ist nur zur Toilette. Als ich sie dann das nächste Mal sah, hatte sie schon ihren Mantel von der Garderobe geholt und angezogen.«
»Hatte sie eine Handtasche dabei?«
»Nein, aber einen Rucksack.«
»Und sonst erinnern Sie sich an nichts?«
Tommaso sah sie mit einem schiefen Grinsen an. »Ich glaube, sie hatte etwas anderes an. Als sie von der Toilette kam, meine ich.«
»Sie hatte etwas anderes an? Woher wollen Sie das wissen, wenn sie doch schon im Mantel war?«
»Keine Ahnung, ich hatte halt den Eindruck …«
»Wissen Sie noch, was sie anhatte, als sie kam?«
»Klar, eine völlig kaputte Jeans …«
»Okay. Und oben rum?«
Tommaso überlegte einen Moment, dann hellte sich sein Gesicht auf.
»Jetzt weiß ich’s wieder! Als sie kam, trug sie einen ausgeleierten Rollkragenpulli.«
»Und später?«
»Da guckten weder der Rollkragen noch die Jeans aus dem Mantel hervor. Und bevor sie ging, hat sie sich noch Handschuhe angezogen«, fügte der Kellner hochzufrieden hinzu. »Das fand ich merkwürdig, weil es an dem Abend doch gar nicht kalt war.«
Sie hat sich umgezogen. Ein Oberteil mit Dekolleté, ein Minirock. Genau das Richtige für einen Nachtclub. Sie hat sich für irgendwen schön gemacht.
Als Linda Nardi das Restaurant verließ, fühlte sie sich besser, aber auch verbittert. Sie blickte in Richtung Piazza del Popolo, genau wie Nadia an jenem Abend, auf dem Weg zu ihrer Verabredung.
Auf dem Weg ins Glück.
Margherita war etwas außer Puste, als sie den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Guten Tag. Entschuldigung, ich musste mir einen halben Tag freinehmen.«
Balistreri spürte ihr Unbehagen. »Kein Problem, aber hol uns doch bitte unten
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