Du bist das Boese
barg und immer weiter töten würde. Der Schmerz und Tod säen würde, um die Welt dafür zu bestrafen, dass sie ihn verstoßen hatte.
Manfredi ging auf Linda zu. »Ich hatte dir meinen Besuch angekündigt.«
»Ja, die Botschaft vor einem Jahr. Und die toten, eingeritzten Mädchen. Ich wusste, dass du früher oder später kommen würdest. Du warst unvorsichtig.«
Stimmt, dachte der Unsichtbare. Diese Botschaft war ein leichtsinniger Fehler gewesen. Aber dem Wunsch, sie in Panik zu versetzen, hatte er einfach nicht widerstehen können. Außerdem war er unbesiegbar.
»Gut, Linda. Zum Glück haben wir ein bisschen Zeit für das, was mir vorschwebt. Gefällt dir mein Gesicht jetzt besser?«
»Ich habe schon viele Fotos von dir gesehen, Manfredi. Aus Afrika.«
»Sieh mal an. Woher hattest du die denn?«
»Angelo Dioguardi hat sie mir vor zehn Tagen in Kenia besorgt. Bei der Gelegenheit hat er auch erfahren, dass dort in den vergangenen vierundzwanzig Jahren viele junge einheimische Frauen ermordet und eingeritzt wurden.«
Manfredi lachte. »Ich habe für dich geübt, Linda. Mit den Afrikanerinnen war es nicht so lustig, aber dafür haben Samantha, Nadia, Selina und Ornella mich entschädigt.«
»Wenn du mir etwas antust, zeigt Angelo Dioguardi dich an.«
Manfredi betrachtete die Pistole in seiner Hand und tastete nach dem Skalpell in seiner Tasche. Er würde seinen Spaß haben.
»Heute, Linda, rechne ich mit alten Feinden und unzuverlässigen Komplizen ab. Einem habe ich vor dem Mittagessen den Bauch aufgeschlitzt. Dann habe ich diesem Wurm von Padre Paul, dem Vertrauten von Elisa, einen Besuch abgestattet. Vor seinem Tod habe ich ihn noch gezwungen, Angelo anzurufen und sich mit ihm zu verabreden. Angelo wollte ich eigentlich verschonen, weil er mich 1982 als Einziger nicht beschuldigt hat und ein harmloser Blödmann ist. Jetzt widme ich mich erst mal dir und warte dann hier auf ihn. Offenbar muss ich mich um ihn wohl doch noch kümmern.«
Lindas Handy klingelte. Sie schaute aufs Display, dann zu Manfredi. »Das ist Michele Balistreri.«
Jeder von ihnen hätte beim ersten Mal an meiner Stelle sein können. Ihnen, die in ihrem Leben weder Schuldgefühle noch Anstand kannten, werde ich mich widmen. Einem ganz besonders.
Das war ein bisschen früh. Bei Hagi musste es einen Zwischenfall gegeben haben, dachte Manfredi verärgert. Dann beschloss er, das als Gelegenheit zu betrachten. Eine unwiderstehliche Gelegenheit.
Er wusste, dass er einen Fehler beging, ähnlich leichtsinnig wie damals, als er Linda vor einem Jahr die Botschaft geschrieben hatte. Zwei Schwachstellen in einem genialen Plan, aber das Risiko war kalkulierbar. Und die Angst von Linda Nardi und Michele Balistreri erfüllte sein Herz mit purer Freude.
Er griff nach Lindas Handy und nahm den Anruf entgegen.
»Linda, hallo!« Balistreri brüllte verzweifelt gegen den Lärm der Hubschrauberrotoren an.
»Nein«, sagte Manfredi mit seiner ruhigen Stimme.
»Bist du es, Angelo?«, fragte Balistreri unsicher.
»Nein, Balistreri. Erinnerst du dich noch an die Nacht auf dem Hügel? Ich bin der Tod.«
Manfredi beendete die Verbindung und zielte mit der Pistole auf Linda. Dass er sich nun doch beeilen musste, war ihm gar nicht recht, er hätte gern mehr Zeit mit ihr verbracht. Doch das Gespräch mit Balistreri, der sich bis ans Ende seiner Tage verfluchen würde, entschädigte ihn für alles.
»Tut mir leid, dass ich nun doch nicht so viel Zeit für dich habe, Linda. Balistreri kommt gleich, um deine Leiche zu beweinen.«
Sie zögerte. Immer noch hatte sie so etwas wie Verständnis für ihn, für den ganzen Schmerz, der ihn zu dem gemacht hatte, der er war. Ihre Ablehnung hatte Manfredi zur Gewalt und zu seinem ersten Verbrechen getrieben, dabei war er ein so netter Junge gewesen und hatte Linda wirklich geliebt. Sie hatte ihn nur wegen seines Gesichts abgewiesen, und er hatte sie bestraft und war aufgebrochen zu seinem Todestrip.
Es ist keine Rache für das, was du mir angetan hast. Es ist wegen all der toten Mädchen. Und wegen all jener, die du noch töten würdest. Denn du bist das Böse, Manfredi.
Linda schloss die Augen. »Bring ihn um«, sagte sie leise. Manfredi spürte die Stimme hinter seinem Rücken, noch bevor er sie hörte.
»Ich bin’s, Manfredi.«
Als er die Stimme erkannte, lächelte er. Diese Memme machte ihm keine Angst, ihm, der nie Angst vor irgendwem gehabt hatte. Langsam drehte er sich um, ohne jede Eile, bereit zu
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