Du bist das Boese
schießen.
Doch Angelo Dioguardi hatte sich lange auf diesen Moment vorbereitet. Seine Beretta Combat Combo feuerte fünf Schüsse ab, kurz hintereinander.
Um sieben landete Balistreri auf dem Dach des Ministeriums. Piccolo brachte Fiorella Romani ins Büro, und Corvu und er rasten mit Sirenengeheul zu Linda Nardi. Sie brauchten keine zehn Minuten. »Warte hier unten auf mich, Corvu, und lass niemanden nach oben.«
Corvu protestierte, aber Balistreri sprang schon die Treppe hoch, mit gezogener Pistole und klopfendem Herzen.
Linda ist tot. Das Leben ist tot.
Er rannte durch die angelehnte Wohnungstür und blieb stehen. Linda saß auf dem Sofa. Angelo Dioguardi kauerte neben ihr, mit zittrigen Händen und verweinten Augen, die Beretta zu seinen Füßen. Manfredis Leiche lag auf dem Fußboden, in einer dunklen Blutlache.
Balistreri spürte, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Seine Knie gaben nach, vor Anspannung und weil die Müdigkeit eines ganzen Lebens auf ihm lastete. Von einem heftigen Zittern geschüttelt sank sein Körper vor ihnen zu Boden.
Er wollte sie beide an sich drücken, doch seine Arme waren zu schwer. Er wollte ihre Verzweiflung und ihre Erleichterung mit ihnen teilen, brachte aber keinen Ton heraus.
Endlich verstand er. Nicht nur das Offensichtliche, sondern auch die unerträgliche Wahrheit, die der Schmerz mit der Zeit begraben hatte. Er betrachtete seine eigenen Hände, dann Angelo, dann Manfredis Leiche.
Jeder von uns hätte beim ersten Mal an seiner Stelle sein können. Wir alle sind fähig zu töten. Ich, Hagi, Manfredi und sogar Angelo.
Dann sprach Angelo, den Blick starr ins Leere gerichtet. »Michele, zwischen mir und Linda ist nie etwas gewesen.«
Ein pathetisches Bekenntnis, unangebracht, überflüssig und doch unentbehrlich. So war Angelo Dioguardi. Aus dem netten, unbeschwerten, ein bisschen tollpatschigen Jungen von früher war ein weltberühmter Pokerspieler geworden. Und ein Mann, der seinen Mitmenschen half, wenn sie ihn brauchten, genau wie Manfredi.
Mit diesem Jungen und mit diesem Mann hatte er vierundzwanzig Jahre seines Lebens geteilt. Nächtelang hatten sie Poker gespielt und bis zum Morgengrauen im Auto gesessen und geplaudert. Und nun hatte er sich für ihn aufgeopfert. Er hatte für Linda getan, wozu er selbst nicht bereit gewesen war.
Heute würde ich nur noch töten, wenn ich partout keine andere Wahl hätte. Sie aber wollte ihn tot, nicht im Gefängnis. Und Angelo war der Richtige dafür.
»Ich weiß, Angelo. Jetzt weiß ich das. Du hast sie vor ihm beschützt. Warum habt ihr nichts gesagt. Das hätte ich erledigen müssen, nicht …«
»Es war richtig so, Michele. Ich musste es tun.«
Balistreri senkte den Kopf und dankte ihm mit einer zärtlichen Geste, die er nicht zurückhalten konnte. Dann sah er zu Linda, doch die schaute ihn nicht an. Sie würde ihn nie wieder anschauen. Sie hielt Angelos Hand, als müsste sie ihn wie einen kleinen Jungen beschützen.
Anstatt die Polizei zu benachrichtigen, rief Balistreri Corvu nach oben. Gemeinsam ließen sie sich alles erzählen.
Linda war die Ruhe selbst. Ohne Balistreri anzusehen, Angelos Hand in der ihren, weihte sie sie in ihre Geschichte ein. »Wir besuchten beide das Carlo Magno, ich die Mittelschule und er das Gymnasium. Manfredi war ein intelligenter, sensibler Junge. Keiner verstand mich so gut wie er. Keiner konnte besser zuhören.«
Balistreri beobachtete sie, suchte ihren Blick, aber was er suchte, gab es nicht mehr.
»Wir waren beide vom Leben gezeichnet. Ich hatte meinen Vater nie kennengelernt, und er hatte einen dominanten Vater und dieses Gesicht.«
Linda schwieg einen Moment, als suchte sie wohlklingende Worte für die furchtbaren Erinnerungen.
»Eines Tages, im Frühling 1982, als wir im Park der Villa Borghese durch eine entlegene Ecke schlenderten, machte Manfredi mir eine Liebeserklärung und versuchte, mich zu küssen. Ich wollte die Situation mit einem Lächeln auflockern, aber er dachte, ich lache ihn aus, verpasste mir eine Ohrfeige und begann, auf mich einzuprügeln.«
Sie machte eine Pause. Balistreri schenkte sie immer noch keinen Blick.
»Er schaffte es nicht, mich zu vergewaltigen, denn er war impotent. Da drehte er völlig durch. Das sei alles nur wegen seiner Visage, brüllte er, weil wir Mädchen uns immer über ihn lustig machten. Er war außer sich. Dann zückte er eine Rasierklinge und ritzte mir ein kleines Y zwischen die Brüste.«
Instinktiv legte sie eine Hand
Weitere Kostenlose Bücher