Du bist in meiner Hand
ganz Frankreich. Wenn Sie in mein Restaurant kommen, frage ich sie, ob sie Ihre Freundin gesehen hat.«
»Ich überlege es mir«, entgegnete Thomas, der nicht die Absicht hatte, dieser Einladung nachzukommen. Um dem Gespräch ein Ende zu setzen, streckte er seinem Beglei ter die Hand hin, die Ajit daraufhin mit niedergeschlagener Miene schüttelte.
»Kommen Sie in mein Restaurant«, wiederholte Ajit. »Ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden.«
Thomas fuhr mit der Metro zurück ins fünfte Arrondissement und spazierte dann entlang der breiten Promenade des Boulevard Saint-Michel in Richtung Süden. Als er durch das Osttor des Jardin du Luxembourg trat, ging über den Bäumen im Südwesten gerade die Sonne unter. Er schlenderte über den Platz auf den Palais du Luxembourg zu und ließ sich in der Nähe des Brunnens auf einer Bank nieder. Falls Julias Kontaktmann bei der BRP nicht mit irgendeiner neuen Information aufwarten konnte, gingen ihm allmählich die Optionen aus. Natürlich konnte er sich noch wochenlang umhören, indem er weitere Viertel der Stadt durchstreifte und jeden Pariser belästigte, der ihm über den Weg lief, doch vermutlich würde dabei nicht das Geringste herauskommen. Seine Chancen auf Erfolg standen extrem schlecht. Als die Abendröte langsam verblasste, verließ er den Park durch ein Seitentor und steuerte auf sein Hotel zu. In dem Moment begann sein BlackBerry in der Tasche zu vibrieren.
»Hallo, Julia«, meldete er sich nach einem raschen Blick auf die angezeigte Nummer.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich erst jetzt melde«, sagte sie. »Unser Freund von der BRP hat gerade mit dem Gesandten in der französischen Botschaft in Mumbai gesprochen. Der Gesandte hat versprochen, sich morgen mit dem CBI in Verbindung zu setzen.«
»Die Mühlen der Justiz mahlen langsam«, kommentierte Thomas.
»Ja, offensichtlich. Hatten Sie heute Nachmittag mehr Glück?«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte er und berichtete ihr in knappen Worten, wie er Ajit kennengelernt hatte und hinter dem falschen Hinweis des Teppichhändlers hergejagt war.
Julia seufzte. »Ich muss die ganze Zeit daran denken, was für eine Schande es doch ist, dass die Polizei von Bombay diesen Navin hat laufen lassen. Wenn wir den Namen seines Onkels hätten, könnte ich mit unserem Computer wahre Wunder wirken.«
»Daran zweifle ich nicht«, antwortete Thomas.
Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Haben Sie schon Pläne für den Abend? Ich kenne da ein ganz fantastisches marokkanisches Lokal auf der Île Saint-Louis.«
Thomas wollte gerade zusagen, als ihm eine Idee kam. Der Rat von Jean-Pierre Léon fiel ihm wieder ein. Ich würde Frauen und Kinder fragen, vor allem solche, die aus dem südasiatischen Raum stammen. Und er musste an Ajits Einladung denken. Meine Frau macht das beste Tandoori-Huhn in ganz Frankreich – Ich frage sie, ob sie Ihre Freundin gesehen hat. Er wusste, dass es ein Schuss ins Blaue war, fand das aber immer noch besser, als darauf zu warten, dass die BRP einen Hinweis lieferte, der vielleicht nie kommen würde.
»Ich würde da sehr gern hingehen«, antwortete Thomas, »aber im Moment steht mir der Sinn mehr nach indischem Essen.«
»Heißt das, Sie haben eine konkrete Idee?«
»Sagen wir lieber, ich fische ziemlich im Trüben. Machen Sie sich bloß keine allzu großen Hoffnungen.«
»Wie auch immer, ich richte mich in diesem Fall ganz nach Ihnen. Sagen Sie mir, wo und wann wir uns treffen sollen.«
Thomas lächelte. »Um acht an der Porte Saint-Denis. Von dort aus können wir zu Fuß hingehen.«
20
Weiche dem Unheil nicht,
doch geh ihm mutiger entgegen!
VERGIL
Paris – Frankreich
Nachdem Onkel- ji und Tante- ji mit ihren Reisedokumenten die Wohnung verlassen hatten, kehrte Tatiana ins Wohnzimmer zurück. »Komm«, wandte sie sich an Sita, »Arbeit für dich.«
Sita folgte ihr nach oben in die Bibliothek, wo Tatiana ihr den Staublappen in die Hand drückte und sie erneut zwei Stunden Bücher abstauben ließ. In Gedanken war sie noch bei dem morgendlichen Treffen. Nichts davon ergab einen Sinn. Als Navin sie an Onkel- ji verkauft hatte, war sie davon ausgegangen, für lange Zeit, vielleicht sogar Jahre in dem Lokal zu arbeiten. Dann aber war Navin wieder aufgetaucht, und alles hatte sich mit einem Schlag verändert. Onkel- ji hatte sie im Schrank versteckt und dann an Wasily und Tatiana übergeben, und nun hatte Wasily für sie irgendwelche Reisevorbereitungen getroffen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher