Du bist in meiner Hand
Nähe?«, platzte Thomas heraus und versuchte, seinen Enthusiasmus zu zügeln.
Nach einem weiteren Blick auf das Foto wackelte der Teppichhändler mit dem Kopf, wechselte mit Ajit noch ein paar Worte auf Hindi und verschwand dann wieder nach hinten in seinen Lagerraum.
Ajit verkündete: »Prabodhan sagt, dass dieses Mädchen im achtzehnten Arrondissement arbeitet. Er bittet Sie, ihn nicht zu erwähnen.«
»Natürlich nicht«, beruhigte ihn Thomas. »Wie komme ich denn da hin?«
Ajit schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Ich bringe Sie hin, Mr. Thomas.«
Thomas folgte Ajit bis zur Metro-Station Château d’Eau, wo sie den Zug Richtung Norden nahmen. An der Haltestelle Barbès-Rochechouart stiegen sie wieder aus. Zielstrebig lotste Ajit seinen Schützling durch die wuselnde Menschenmenge. Als sie den Bahnhof schließlich verließen, marschierte Ajit in östlicher Richtung den Boulevard de la Chapelle entlang, bog dann nach links in eine schmale Kopfsteinpflastergasse ein und steuerte auf die Glasfassade eines indischen Restaurants zu. Das Lokal hatte geschlossen, aber Thomas sah einen dunkelhäutigen Mann an einem der Tische sitzen.
Ajit bat Thomas um das Foto und klopfte ans Fenster. Sichtlich verärgert über die Störung, drehte der Mann sich um. Er stand auf und kam zur Tür.
»Bonjour«, begrüßte ihn Ajit und kam allen Fragen seines Gegenübers zuvor, indem er dem Mann sofort das Foto zeigte, woraufhin die beiden eine angeregte Unterhaltung auf Hindi führten. Schließlich aber schüttelte der Mann den Kopf und zog die Tür wieder zu.
»Was hat er gesagt?«, erkundigte sich Thomas.
»Viele Fragen wollte er nicht beantworten«, informierte ihn Ajit. »Er war nicht sehr freundlich.«
»Hat er etwas über das Foto gesagt?«
»Er hat gesagt, dass das Mädchen mal hier gearbeitet hat, jetzt aber nicht mehr da ist.«
Thomas atmete scharf ein, weil er sicher war, schon ganz nahe an Sita dran zu sein. Nachdem er sich das Restaurant genau eingeprägt hatte, machte er sich auf den Rückweg in Richtung Boulevard de la Chapelle. Ajit folgte ihm wortlos. An der Ecke befand sich ein Souvenirladen, in dem sich gerade keine Kunden befanden. Thomas ging hinein und wandte sich an die Kassiererin – eine junge Frau mit stacheligem Haar und einer Spinnentätowierung am Hals. Er zeigte ihr ebenfalls das Foto und deutete auf das Restaurant ein Stück die Gasse hinunter, wobei er ihr auf Französisch die Situation erklärte.
Die Kassiererin schüttelte gelangweilt den Kopf. »Das ist nicht das Mädchen.«
Thomas fühlte sich schlagartig ernüchtert. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich weiß es einfach.«
»Ein Mann hat mir erzählt, er habe sie dort gesehen«, gab Thomas zu bedenken. »Er war sich ziemlich sicher.«
Die Kassiererin stützte die Hände auf die Ladentheke und beugte sich zu ihm vor. »Es ist mir völlig egal, wer Ihnen das eingeredet hat. Es ist nicht das Mädchen.« Sie legte eine kurze Pause ein, in der sich ihre Gesichtszüge ein wenig entspannten. »Hören Sie, ich bin Künstlerin, ich zeichne ständig die Leute im Park. Dieses Mädchen«, sagte sie und deutete auf das Foto, »hat eine hellere Haut als das Mädchen, das im Restaurant arbeitet. Außerdem hat das Mädchen im Restaurant eine Kinnspalte, eine breitere Stirn und ein Muttermal neben der Nase. Ich habe erst kürzlich dort gegessen. Das Essen war fürchterlich, aber an sie kann ich mich noch gut erinnern.«
Die Kassierin machte Thomas’ ganze Hoffnung zunichte. »Der Mann im Restaurant behauptet, sie arbeite nicht mehr dort«, informierte er sie. »Er wollte auch gar nicht über sie reden. Können Sie sich das erklären?«
Die Kassiererin lachte höhnisch. »Oh, und ob sie noch dort arbeitet. Ich habe sie erst heute Morgen gesehen. Vermutlich ist sie illegal hier, genau wie die Hälfte aller Einwanderer in dieser Stadt.«
Niedergeschlagen verließ Thomas den Souvenirladen. Der Hinweis des Teppichhändlers hatte so vielversprechend geklungen. Da fielen ihm plötzlich die dicken Brillengläser des Mannes wieder ein. Er hat nicht sie gesehen, ging ihm durch den Kopf, sondern eine völlig verzerrte Version von ihr.
An der Ecke blieb er stehen und sah Ajit an. »Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe.«
Ajit sah, wie deprimiert er war, und versuchte ihn aufzuheitern. »Mögen Sie die indische Küche, Mr. Thomas?«
»Ja«, antwortete Thomas, um einen liebenswürdigen Ton bemüht.
»Meine Frau macht das beste Tandoori-Huhn in
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