Du bist in meiner Hand
gerade.
Thomas klopfte gegen die Fensterscheibe. Mit säuerlicher Miene starrte sie zu ihm hinaus und sagte kopfschüttelnd etwas, das er nicht hören könnte. Als er Sitas Bild an die Fensterscheibe presste, kam sie näher. Inzwischen wirkte sie richtig verärgert. Sie sprach jetzt auch so laut, dass sie durchs Fenster gut zu verstehen war.
»Le restaurant est fermé«, erklärte sie. Dabei schwang sie den Besen, als wollte sie ihren Worten dadurch Nachdruck verleihen. »Fermé!«, wiederholte sie. Dann fuhr sie fort, den Boden zu fegen.
Thomas wandte sich ab und steuerte auf einen Inder zu, der sich gerade um eine Reihe von Pflanzen kümmerte, die neben dem Eingang zu einem anderen Restaurant wuchsen.
Als er dem Mann das Foto zeigte, reagierte der mit jenem strahlenden Lächeln, auf das man bei den Indern in Bombay ständig traf. »Woher kennen Sie denn das Mädchen?«, fragte er Thomas.
»Sie ist eine Freundin von der Universität«, improvisierte Thomas rasch.
»Der Universität von Paris?«, hakte der Mann nach. »Studieren Sie dort?«
»Ich habe an der Sorbonne studiert.« Wieder hielt er das Foto hoch. »Vielleicht haben Sie sie hier irgendwo gesehen? Bitte denken Sie nach. Es ist sehr wichtig.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich habe dieses Mädchen nicht gesehen. Aber ich habe einen Freund, der sie kennen könnte. Wollen Sie mir folgen, Sir?«
Der Mann lotste Thomas an den Arkaden entlang. »Wohin gehen wir?«
»Es ist nicht weit, Sir«, antwortete der Mann.
Sie verließen die Passage und überquerten den Boulevard de Strasbourg. Auf dem Gehsteig blieb der Mann stehen und deutete auf eine zweite, glasüberdachte Passage.
»Zu meinem Freund geht es in diese Richtung«, informierte ihn der Mann. »Er kommt ständig in mein Restaurant.« Er streckte Thomas die Hand hin. »Ich bin Ajit.«
Thomas schüttelte die ihm dargebotene Hand. »Thomas Clarke.«
Ajit führte Thomas in die zweite Passage hinein. Sie betraten ein Geschäft, das für handgewobene Teppiche warb. Zum Teil handelte es sich um Perserteppiche, zum Teil stammten sie aus Afghanistan. Ajit ging in den hinteren Teil des Ladens und spähte durch eine halb offen stehende Tür in einen Lagerraum, wo er jemanden sehr laut auf Hindi begrüßte.
»Er hört schlecht«, erklärte der Mann, »aber er kommt gleich.«
»Wer ist er?«, fragte Thomas.
»Er heißt Prabodhan. Er lebt schon sehr lange hier.«
Kurz darauf erschien ein älterer Mann mit einem Taschenrechner in der Hand. Sein Haar war grau-weiß meliert, und er trug eine Brille mit dicken Gläsern. Nachdem er Ajit sehr freundlich begrüßt hatte, bedachte er Thomas mit einem Blick, der ebenso offen wie fragend wirkte.
»Prabodhan«, wandte Ajit sich an den Mann und fuhr auf Französisch fort, damit Thomas es verstand: »Mr. Thomas sucht nach einem Mädchen.«
Der Teppichhändler neigte den Kopf leicht zur Seite und blinzelte. Nachdem er nichts sagte, holte Thomas Ahalyas Foto heraus und reichte es ihm.
»So sieht sie aus.« Er deutete auf Sita. »Auch wenn sie mittlerweile schon älter ist.«
Der Teppichhändler ignorierte das Foto und konzentrierte sich stattdessen auf Thomas.
»Wie Sie sehen können«, sagte er zu ihm, »bin ich Händler. Ich verkaufe Teppiche. Wie kommen Sie darauf, dass ich dieses Mädchen kennen könnte?« Trotz seines leisen Tons sprach aus seinen Worten eine unmissverständliche Autorität.
»Sie kennen sich von der Sorbonne«, erklärte Ajit, bevor Thomas etwas antworten konnte. »Mr. Thomas hat sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
»Haben Sie denn kein Telefon?«, konterte der Teppichhändler. »Oder Internet? Ein Mann, der eine Ausbildung an der Sorbonne genossen hat, müsste doch in der Lage sein, eine alte Freundin aufzuspüren.«
»Irgendwann ist der Kontakt zwischen uns abgerissen«, erwiderte Thomas. »Ich weiß nur, dass sie noch in Paris lebt.«
Der Teppichhändler dachte über Thomas’ Worte nach. Dann schien er seinem Herzen einen Ruck zu geben, denn auf einmal hielt er sich das Foto dicht vors Gesicht und kniff hinter seinen dicken Brillengläsern die Augen zusammen. Er blinzelte ein paarmal und sah dann wieder Thomas an, inzwischen eher neugierig als skeptisch.
»Was, wenn sie Sie gar nicht sehen möchte?«
»Heißt das, Sie wissen, wo sie ist?«, fragte Thomas hoffnungsvoll.
Der Teppichhändler musterte ihn einen Moment eindringlich, ehe er nickte. »Ich habe ein Mädchen gesehen, das so aussieht.«
»Ist sie in der
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