Du bist in meiner Hand
wünschte, sie hätte sich die Flugtickets genauer angesehen.
Mittags brachte Tatiana ihr ein Baguette-Sandwich. Nachdem Sita es gegessen hatte, führte Tatiana sie hinauf in Wasilys Büro im zweiten Stock der Wohnung. Sita hatte das Büro im Lauf der vergangenen zwei Wochen zweimal geputzt und dabei jedes Mal eine Gänsehaut bekommen.
»Schnell putzen«, wies Tatiana sie an. »Er kommen heim in einer Stunde.«
Als Sita allein war, holte sie ihr Staubtuch heraus und nahm sich als Erstes den Schreibtisch vor. Dabei starrte sie einen Moment argwöhnisch auf die beiden Flachbildschirme, weil sie befürchtete, bereits eine leichte Erschütterung könnte sie wieder zum Leben erwecken. Als Nächstes staubte sie das runde Fenster ab, dann den Aktenschrank. Nachdem sie mit beidem schnell fertig war, blickte sie sich suchend nach irgendetwas anderem um, das sie noch putzen konnte. Dabei bemerkte sie, dass die Tür des Schrankes, der im hinteren Teil des Büros stand, nicht ganz geschlossen war. Durch den Türspalt konnte sie einen Stapel Kartons erkennen. Sie zögerte einen Moment, doch dann siegte die Neugier.
Sie öffnete die Tür und betrachtete die Kartons. Es waren mindestens zwölf Stück, und wie sich herausstellte, steckten sie alle voller Bankunterlagen. Vorsichtig zog sie das oberste Blatt heraus. Es handelte sich um den Kontoauszug einer Schweizer Bank. Wasilys Name tauchte auf dem Dokument nirgendwo auf. Der Text auf dem Auszug war französisch, aber die Zahlen bedurften keiner Übersetzung: Das Guthaben auf dem Konto belief sich auf über fünf Millionen Euro. Sita holte tief Luft. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Natalia und Ivanna und die anderen Mädchen. Was auch immer Wasily und Dmitri trieben, ihr Geschäft hatte sie sehr reich gemacht.
Sita legte den Kontoauszug genau dorthin zurück, wo er gewesen war, und wollte gerade die Schranktür schließen, als sie aus dem Augenwinkel einen kleinen Haken registrierte, der neben dem Türpfosten angebracht war. An dem Haken hing ein Ring mit drei Schlüsseln. Sita hielt im Raum nach einem Schloss Ausschau, zu dem diese Schlüssel passten, konnte aber keines entdecken. Die Büroausstattung beschränkte sich auf die Computeranlage, den Schreibtisch und den Aktenschrank.
Im Geiste ging sie die Einteilung des Hauses durch. Die Haustür ließ sich nur mit einer Zahlenkombination öffnen. Nachdem sie jeden Tag zweimal danebengestanden hatte, wenn Dmitri den sechsstelligen Code eingab, kannte sie ihn inzwischen auswendig. Das Tor zur Straße war ebenfalls mit einer Zahlenkombination gesichert. Der Code lautete anders als an der Haustür, aber Sita kannte ihn auch. Anfangs hatte sie mit dem Gedanken gespielt, die Codes zur Flucht zu nutzen, aber je länger sie darüber nachdachte, umso weniger konnte sie der Idee abgewinnen. Um wirklich unentdeckt zu entwischen, wäre pures Glück vonnöten, und im Fall ihres Scheiterns würde sie bestimmt sehr hart bestraft.
Als Nächstes ging sie die Innentüren durch. Die Tür zu dem Kellerraum, in dem sie Natalia vorgefunden hatte, war mit einem Riegel versehen, der vom Gang aus per Hand vorgeschoben werden konnte. An der Tür zum Waschkeller gab es kein Schloss. Dagegen war ihre Schlafzimmertür sehr wohl mit einem Schloss versehen, auch wenn sie sich jetzt eingestehen musste, dass sie daran in den letzten Tagen kaum einen Gedanken verschwendet hatte. Ihr plötzlicher und unerklärlicher Umzug aus dem Restaurant in Wasilys Wohnung hatte sie verwirrt, und die nächtlichen Ausflüge, die Dmitri mit den Mädchen unternahm, hatten ihre Verwirrung in Angst verwandelt.
Sita schloss die Augen und versuchte sich im Zusammenhang mit ihrer Schlafzimmertür so viele Details vorzustellen, wie sie nur konnte. Tatiana sperrte die Tür abends immer von außen ab. Sita glaubte sich daran zu erinnern, jedes Mal, nachdem Tatiana ihr eine gute Nacht gewünscht hatte, ein schleifendes Geräusch zu hören, das durchaus von einem Schlüssel stammen konnte. Trotzdem würde ihr ein Schlüsselloch an der Außenseite nichts nützen, wenn es innen kein entsprechendes Pendant gab. Sie zermarterte sich das Gehirn, doch der Bereich rund um den Türknauf blieb verschwommen.
Sie warf noch einmal einen Blick auf die Schlüssel und traf ihre Entscheidung. Genau in dem Moment, als sie nach dem Schlüsselring griff, hörte sie Tatiana die Treppe heraufkommen. Es gelang ihr gerade noch, die Schlüssel in ihrem Sari zu verstecken und die Schranktür wieder wie
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