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Du bist in meiner Hand

Du bist in meiner Hand

Titel: Du bist in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corban Addison
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Kirche gehen kann.«
    Verblüfft sah seine Mutter ihn an. Er hatte sie seit seiner Collegezeit nicht mehr zur Messe begleitet.
    »Heute stecke ich voller Überraschungen, was?«, meinte er und nahm sie am Arm.
    Am Nachmittag kehrte Thomas nach Washington zurück, wo er noch eine letzte Sache erledigen wollte. Nachdem er kurz angehalten hatte, um Blumen zu kaufen – Gänseblümchen eingedenk des nahenden Frühlings – fuhr er durch das Tor an der Rückseite des Friedhofs auf das Gelände von Glenwood Cemetery. Die schmale Straße schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch. Schließlich hielt er an, bis zum Grab waren es nur ein paar Schritte zu gehen. In tiefen Zügen atmete er die frische Luft ein und genoss die Einsamkeit dieses Ortes. Obwohl nach dem Regen vom Vormittag inzwischen wieder die Sonne schien, war der Friedhof nahezu menschenleer. Das Grab lag auf einer Anhöhe, von der man einen schönen Blick auf den Garten der Engel hatte. Beim Anblick des Grabsteins kehrte sein Kummer mit voller Wucht zurück. Liebe, süße Mohini. Sie war noch so klein gewesen.
    Ihre Bestattung hatte zu erbitterten Diskussionen geführt. Seine Eltern waren – als gute Katholiken – gegen eine Einäscherung gewesen, während Priya sich genauso heftig gegen eine Erdbestattung gewehrt hatte. »Meinetwegen könnt ihr den Fluss aussuchen, damit habe ich kein Problem«, hatte sie gesagt, »aber lasst mich meine kleine Tochter anständig bestatten.« Thomas hatte alles darangesetzt, einen Kompromiss auszuhandeln. Sie hatten sie einäschern lassen und ihre Asche an der Mündung des Hudson verstreut, die Urne jedoch auf dem Glenwood-Friedhof im Familiengrab der Clarkes beerdigt.
    Er beugte sich hinunter und legte die Gänseblümchen vor den Grabstein. Eigentlich hatte er im Anschluss an die Bestattung damit gerechnet, dass der Grabstein Anlass zu weiteren Kontroversen geben würde, aber Priya hatte sich kommentarlos mit der Inschrift einverstanden erklärt, die seiner Mutter am besten gefiel: »In der sicheren Hoffnung auf Auferstehung«.
    »Ist schon eine Weile her, meine liebe Kleine«, sagte er und spürte dabei, wie ihm die ersten Tränen in die Augen stiegen. Er musste einen Moment warten, bis er sich wieder gefangen hatte, ehe er weitersprechen konnte: »Es gibt da ein Mädchen, das dir bestimmt gefallen würde. Ich wünschte, du könntest sie kennenlernen. Sie heißt Sita und kommt aus Indien, genau wie Mommy.« So redete er eine ganze Weile weiter, sprach einfach alles aus, was ihm in den Sinn kam. Er erzählte seiner Tochter von Bombay, von Priyas Familie und von Ahalya und Sita.
    Als ihm schließlich nichts mehr einfiel, drückte er einen zärtlichen Kuss auf den Grabstein. »Ich muss gehen, meine Kleine.« Er schloss die Augen, weil eine weitere Welle des Kummers über ihm zusammenschlug. »Ich liebe dich, Mohini.«
    Nachdem er zu seinem Wagen zurückgekehrt war, saß er eine ganze Weile reglos hinter dem Steuer. Dann griff er nach seinem Rucksack, holte einen Notizblock und einen Stift heraus und ließ seinen ganzen Schmerz auf ein Blatt Papier strömen, um auf diese Weise einer Frau zu helfen, die für ihn in nahezu jeder Hinsicht eine Fremde war – nur in einer Hinsicht nicht.
    Liebe Allison,
    mein Name ist Thomas Clarke, und ich war damals vor Ort, als Abby verschwand. Nachdem mir nun ein Freund erzählt hat, was passiert ist, musste ich Ihnen einfach schreiben. Ich kann Ihnen wenig Trost bieten. Es gibt kein Heilmittel gegen Ihren Kummer, und Sie werden auch nie eine Erklärung finden, die alldem einen Sinn verleiht. Die Welt hat Sie und Abby im Stich gelassen. Als das Böse geschah, war das Gute machtlos dagegen. Das tut mir aufrichtig leid.
    Aber ich kann Ihnen ein Versprechen anbieten. Auch wenn es Ihnen jetzt nicht möglich erscheint, wird es ein Morgen geben. Auf der anderen Seite dieser Dunkelheit wird langsam ein neuer Tag heraufdämmern. Ich weiß das, weil ich vor nicht allzu langer Zeit selbst eine Tochter verloren habe. Ich war heute an ihrem Grab. Jedes Mal, wenn ich ihren Namen auf dem Grabstein sehe, bricht mir von Neuem das Herz. Ich konnte sie ebenso wenig beschützen wie Sie Ihre Abby. Trotzdem haben uns Mohini und Abby etwas voraus: Der Tod besitzt keine Macht mehr über sie.
    Wo auch immer die beiden jetzt sind, sie haben ihren Frieden gefunden.
    Nachdem er den Brief unterschrieben hatte, steckte er ihn in einen Umschlag, adressiert an Andrew Porter im Justizministerium. Andrew hatte seine

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