Du bist in meiner Hand
entspannen, schaffte es aber nicht. Tera hatte eine überwältigende Wirkung auf ihn. Was er in ihrer Gegenwart empfand, ließ sich mit zwei Worten zusammenfassen: Verlangen und Schuldgefühl.
Sie bedachte ihn mit einem koketten Lächeln. »Wir könnten von hier verschwinden und irgendwohin gehen, wo wir allein sind.«
Schlagartig wuchs sein Schuldgefühl noch. »Das halte ich für keine gute Idee.«
Tera wirkte irritiert und leicht verletzt. »Mein lieber Thomas, du vergisst, dass Priya dich verlassen hat. Was hast du zu verbergen?«
Wieder sah er sich um. »Hier weiß noch niemand von unserer Trennung.«
»Und wie lange gedenkst du sie geheim zu halten?«
»Das weiß ich selbst noch nicht so genau.« Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er dieses Gespräch hätte vermeiden können.
»Schämst du dich für mich, Thomas?« Tera versuchte beiläufig zu klingen.
»Natürlich nicht«, entgegnete er rasch. Warum war ihm so daran gelegen, sie zu beschwichtigen? Erneut legte Tera die Hand auf seinen Arm. »Was hältst du von morgen?«
Er sah einen Sozius aus der Prozessabteilung zu ihnen herübersehen und wandte den Blick ab. »Morgen ist besser«, antwortete er in der Hoffnung, sie möge den Hinweis verstehen und ihn allein lassen.
»Ich kann es kaum erwarten«, gab sie zurück, ehe sie abzog, um eine Freundin zu begrüßen.
Er sah ihr nach. In dem Moment hätte er sich am liebsten in Luft aufgelöst. Tera war einer der unbegreiflichen Aspekte in seinem Leben. Er hatte all die Techtelmechtel und Seitensprünge unter Kollegen und Kolleginnen, die in der Kanzlei gang und gäbe waren, immer voller Verachtung beobachtet. Er selbst war Priya treu gewesen. Obwohl Tera schon seit drei Jahren mit ihm am Wharton-Fall arbeitete, hatte er sie immer nur als platonische Freundin betrachtet, nichts weiter. Dann schlug das Schicksal zu, und plötzlich änderten sich die Regeln. Tera hatte genau im falschen Moment die Hand nach ihm ausgestreckt – als sich Priyas stumme Trauer in scharfkantige Verbitterung verwandelt hatte.
Dabei hatte ihre Affäre ganz unschuldig begonnen: hier ein Lachen, dort ein Klaps auf die Schulter. Doch irgendwo in all den aufreibenden Vorbereitungen auf den Wharton-Prozess und Priyas zerstörerischer Depression hatte er die Grenze überschritten, und aus bloßer gegenseitiger Anziehung war Verliebtheit geworden. Er blieb immer länger in der Kanzlei und fürchtete sich vor den Tiraden, die er zu Hause für jeden kleinen Fehler, den Priya entdeckte oder sich einbildete, über sich ergehen lassen musste. Über Mohini konnte er mit seiner Frau nicht reden, sie weigerte sich sogar, auch nur den Namen ihrer Tochter auszusprechen. Thomas war in dieser Phase äußerst verletzlich, und Tera stand zur Verfügung. Mehr als das: Sie zog ihn völlig in ihren Bann.
Ihren körperlichen Annäherungsversuchen hatte er dennoch widerstanden, bis Priya gegangen war, aber in den vergangenen drei Wochen hatte er Tera zweimal in ihrer Wohnung am Capitol Hill besucht. Über Nacht war er bisher nicht geblieben, dafür war sein schlechtes Gewissen viel zu groß. Trotzdem hatte er der Versuchung nachgegeben, mit ihr zu schlafen, weil sie gefühlvoll und schön war und seine Frau ihn verlassen hatte.
Als er nun einen Blick auf die Uhr warf, sah er, dass es bereits auf halb elf zuging. Er riss sich zusammen und drehte eine Runde, wobei er hier und dort ein paar geistreiche Bemerkungen mit einem Kanzlei-Sozius wechselte. Etwas später brach er auf. Er verließ das Mayflower zu Fuß und ging entlang der 18th Street nach Süden, in Richtung K Street. Es war eine kalte, wolkenlose Nacht, sodass man durch den Smog zumindest die helleren Sterne sehen konnte. Thomas zog den Mantel enger um sich. Er überlegte, ob er sich ein Taxi rufen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er wollte lieber gehen.
Als er eine halbe Stunde später zu Hause eintraf, fühlte er sich dank des Fußmarsches ein wenig belebt. Er begab sich schnurstracks in die Küche und schenkte sich ein Glas Scotch ein. Vorsichtshalber nahm er die Flasche mit hinüber zur Couch. Er versuchte, alle nagenden Gedanken aus seinem Kopf zu verscheuchen, doch sein schlechtes Gewissen wegen der Begegnung mit Tera blieb.
Er musste wieder an die Entführung in Fayetteville denken. Ob sein Vater wohl recht hatte, was die Verbindung zum Menschenhandel betraf? Befand sich Abby Davis tatsächlich in den Händen eines Zuhälters? Er stellte sich Mohini vor, wie sie mit elf
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