Du bist in meiner Hand
gemacht.«
Vor seiner Ernennung zum Richter war Thomas’ Vater einer der Staranwälte der Kanzlei Clayton gewesen und ein Kollege von Junger. Jahre zuvor hatten sie an der Universität von Virginia gemeinsam Jura studiert.
Die Lifttür öffnete sich, und Junger führte Thomas durch den aufwendig gestalteten Empfangsbereich des elften Stocks in sein Büro. Der Raum war so groß, dass darin locker fünfzehn von den kleinen Kabinen Platz gefunden hätten, in denen junge Anwälte wie Thomas arbeiten mussten. An den mit Kirschholz vertäfelten Wänden standen jede Menge Bücherregale, und dazwischen hingen Originalgemälde. Eine solche Umgebung hatte schon in guten Zeiten etwas Einschüchterndes. In schlechten Zeiten raubte sie einem regelrecht den Atem.
»Mach es dir gemütlich.« Junger deutete auf eine Sitzgruppe, die aus einer hart gepolsterten Couch und mehreren Ohrensesseln bestand. Thomas setzte sich auf einen der Sessel. Junger nahm auf dem Sofa Platz, schlug die Beine übereinander, presste die Fingerkuppen zusammen und musterte Thomas dann mit einem eindringlichen Blick aus seinen haselnussbraunen Augen.
»Wie geht es dir?«, fragte er. »Es ist ja erst gut drei Monate her, dass du deine Tochter verloren hast. Das war im September, nicht wahr?«
Thomas holte tief Luft und nickte. »Ich habe gute und schlechte Tage. Wie es in einem solchen Fall wohl zu erwarten ist.«
»Hmm.« Junger schwieg einen Moment nachdenklich. »Als Margie und ich damals Morgan verloren haben, ist es mir lange Zeit so vorgekommen, als befände ich mich unter Wasser. Ohne zu wissen, wie ich wieder an die Oberfläche kommen sollte.«
Thomas kannte die Geschichte von seinem Vater. Jungers sechzehnjährige Tochter war zehn Jahre zuvor bei einem Frontalzusammenstoß mit einem Holzlaster ums Leben gekommen.
»Eine passende Beschreibung«, gab Thomas ihm recht. Er wünschte, Junger würde endlich zur Sache kommen.
»Weißt du, was mich zurückgeholt hat? Was meinem Leben wieder einen Sinn gegeben hat?«
Thomas schüttelte den Kopf.
»Es war Margies Idee. Sie hat zu mir gesagt, ich bräuchte dringend mal eine Auszeit von der Kanzlei. Ich weiß noch genau, wie ich sie ausgelacht habe. Wenn du erst einmal Sozius bist, wirst du mich verstehen: Es gibt nie einen guten Zeitpunkt für eine solche Auszeit. Am Ende aber ließ Margie mir kaum eine andere Wahl. Ich rief also Bobby Patterson an, der damals an der Universität von Virginia Dekan war, und fragte ihn, ob er für ein Jahr einen alten Kämpen wie mich im Hörsaal gebrauchen könne. Dozent zu werden war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Sie verhalf mir zu einem neuen Leben.«
Junger verstummte, und Thomas fragte sich, wann er endlich die Axt auf ihn niedersausen lassen würde. Neben ihnen tickte eine Uhr. Ansonsten war im Büro kein Geräusch zu hören, mal abgesehen vom Hämmern seines eigenen Herzens.
»Ich habe mit Mark Blake gesprochen«, brach Junger schließlich das Schweigen und bestätigte damit Thomas’ Befürchtungen. »Er hat mir von dem Samuelson-Fall erzählt.«
Thomas verzog den Mund, verzichtete aber darauf, sich in irgendeiner Weise zu verteidigen.
»Meinem Gefühl nach hat Mark überreagiert, aber man darf nicht vergessen, welchem Druck er ausgesetzt war. Immerhin war er bei unseren Bemühungen im Gerichtssaal der führende Mann. Seit wir Wharton Coal vertreten, hat das Unternehmen unserer Kanzlei über zwanzig Millionen Dollar bezahlt – eine enorme Summe. Jack Barrows, der Chef von Wharton, wollte auf keinen Fall, dass die Geschworenen diese geschmacklose Computersimulation der Schlammlawine zu sehen bekommen: all die computergenerierten Kinder, die um ihr Leben laufen, bis der Schlamm sie einholt, und dann die kleinen Markierungen an den Stellen, wo die Leichen liegen, rot für Jungen, blau für Mädchen. Das Ganze war von Emotionen und Vorurteilen geprägt und basierte noch dazu auf einer Reihe nicht beweisbarer Annahmen. Du kennst ja die diesbezügliche Debatte. Du hast die Unterlagen für die Verhandlung vorbereitet.«
Thomas nickte.
»Der Fall Samuelson war der Dreh- und Angelpunkt von Marks Argumentation. Wer kann es ihm verdenken? Der Richter, der die Begründung geschrieben hat, war ein Freund von Richter Hirschel. Sie enthält all jene schönen Sätze über die Gefahren unwissenschaftlicher Beweismittel, die darauf abzielen, die Geschworenen emotional zu beeinflussen. Wie du dir sicher vorstellen kannst, war es für Mark sehr
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