Du bist in meiner Hand
Thomas musste an Dinesh denken.
McPhee lachte. »Den Gästen ist das egal. Eine solche Tänzerin ist doch der Traum vieler Männer. Die Kerle reden sich ein, dass die Mädchen in sie verliebt sind. Dass sie sich keine Prostituierte kaufen, sondern einer Freundin ein Geldgeschenk machen.«
Thomas überlegte. Das war eine verdrehte Logik, erklärte aber Dineshs Verhalten.
»Wie steht CASE zu den Tanzclubs?«
McPhee schüttelte den Kopf. »Etablissements wie das White Orchid sind absolut tabu. Die Polizei kassiert Bestechungsgelder von den Clubbesitzern und argumentiert, die Mädchen würden aus freien Stücken dort tanzen. Womit sie vielleicht sogar recht haben. Die einzigen Bars, die wir hochgehen lassen, sind die Bierkneipen in den Vorstädten, wo die Zuhälter die Mädchen einsperren.«
»Meine Frau«, meinte Thomas, »hat Bombay mal als die Stadt bezeichnet, in der die Maya regiert, die Göttin der Illusion. Langsam wird mir klar, was sie damit gemeint hat.«
McPhee nickte. »In dieser Stadt ist alles Illusion.«
Thomas bedankte sich bei ihm und kehrte an seinen Schreibtisch zurück, wo er sich seinen Laptop schnappte und damit in die CASE -Bibliothek marschierte, um jedes veröffentlichte Urteil nachzulesen, das er zum Thema Menschenhandel finden konnte. Dabei stieß er zumindest auf ein paar Zitate, die er für den Jogeshwari-Antrag verwenden konnte, auch wenn die Ausbeute insgesamt mager war.
Gegen Mittag kehrte er an seinen Platz in der juristischen Abteilung zurück, fest entschlossen, den Antrag neu zu strukturieren. Er legte auf seinem Laptop eine Liste der Hauptpunkte an und überlegte sich dann Überschriften und Unterüberschriften. Eine halbe Stunde später stand der logische Rahmen für die Argumentation. Er warf einen Blick auf die Uhr und überlegte sich, wie er die Mittagspause verbringen sollte.
Plötzlich hörte er in der Abteilung gegenüber, die für die Außeneinsätze zuständig war, aufgeregte Stimmen. Obwohl sich die drei Abteilungen – Außeneinsätze, Rechtsabteilung und Wiedereingliederung – einen großen gemeinsamen Bereich teilten, wurden die meisten Gespräche durch drei riesige Klimaanlagen übertönt, die von morgens bis abends vor sich hin ratterten und pfiffen.
Als er aufstand, sah er drei indische Außendienstmitarbeiter und einen Sachbearbeiter in Nigel McPhees Büro verschwinden.
»Was ist los?«, fragte er Eloise, die aus der Bronx stammte.
Eloise legte ein Exemplar des All India Reporter beiseite und spähte über eine Bürostellwand in die fast leere Außen dienstabteilung hinüber. »Was gibt’s, John?«
Der angesprochene Sachbearbeiter blickte von seinem Computer hoch. »Rasheed hat einen Tipp bekommen. Zwei minderjährige Mädchen in Kamathipura. Eine von ihnen noch ›originalverpackt‹, wie es die Zuhälter nennen. Nigel drängt auf einen schnellen Einsatz.«
Thomas’ Herzschlag beschleunigte sich. »Wer darf zu so einer Razzia mit?«
Eloise lächelte. »Wenden Sie sich an Greer. Wahrscheinlich hat er nichts dagegen, wenn Sie sich anschließen.«
Bald kamen McPhee und sein Gefolge aus dessen Büro, und McPhee ging hinüber zu Samantha, um sich mit ihr zu beraten. Wenig später tauchte sie auf und informierte den juristischen Teil der Belegschaft.
»Rasheed war letzte Nacht unten an der M. R. Road. Er arbeitet dort mit einem Mädchen zusammen, von dem er schon einmal Informationen bekommen hat. Ihr zufolge hat der Zuhälter, der ihr Bordell betreibt, kurz vor Silvester zwei minderjährige Mädchen ins Haus gebracht. Wir organisieren für heute Nacht eine Razzia. Deepak spielt den angeblichen Kunden. Wie sich herausgestellt hat, kennt er den Bordellbesitzer.«
Im Anschluss an diese kurze Besprechung ging Thomas hinüber ins Büro von Greer, der jedoch gerade telefonierte.
»Aufregende Zeiten«, bemerkte Greer, nachdem er aufgelegt hatte. »Rasheed hört sich gerade auf der Straße um, ob jemand den Tipp bestätigen kann.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?«, fragte Thomas.
Greer überlegte nur einen Moment. »Der Zeitpunkt ist genauso günstig wie jeder andere«, meinte er.
Nachdem sie in Windeseile alles Nötige vorbereitet hatten, riefen McPhee und Greer um fünf Uhr nachmittags das Außenteam zusammen, das an der Razzia teilnehmen sollte. Insgesamt waren sie zu sechst. Bei Deepak, Rasheed und Rohit handelte es sich um die Außendienstmitarbeiter, die mit den Räumlichkeiten des Bordells vertraut waren. Ravi arbeitete ebenfalls
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