Du bist in meiner Hand
Zwischen etlichen Werbemails entdeckte er eine Nachricht von Andrew Porter.
Hallo, Thomas, ich dachte mir, dich interessiert vielleicht, dass sich die Polizei von Fayetteville wegen des von dir erwähnten Vorfalls bei uns gemeldet hat. Bis jetzt kann ich dir noch nichts Konkretes berichten, aber wir ermitteln in der Sache. Hier ist es gerade richtig scheußlich – jede Menge Schneeregen und Eis. Sei froh, dass du an einem warmen Ort bist. Ich beneide dich.
Thomas schrieb zurück:
Danke, dass du mich auf dem Laufenden hältst. Im Moment atme ich nur Abgase ein. Nicht gerade das Paradies, aber vermutlich besser als der Schneeregen.
Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, ging er die Liste seiner Posteingänge weiter durch und stieß dabei auf ihren Namen. Er schloss die Augen und fragte sich, warum das Leben so kompliziert sein musste. Er hätte ihr geradeheraus sagen sollen, dass es vorbei war. Für einen Moment war er versucht, die Nachricht einfach zu löschen, aber dann siegte doch die Neugier. Tera hatte geschrieben:
Thomas, ich benehme mich wie eine Idiotin, aber ob ich es will oder nicht, du fehlst mir. Wo bist du? In der Kanzlei halten sich alle bedeckt. Man hat mir nur gesagt, du habest unbezahlten Urlaub genommen. Hier ist es kalt. Deine Wärme fehlt mir.
Er lehnte sich zurück, den Blick auf die Lichter der Stadt gerichtet. Sie war eine wunderbare, großzügige Frau. Er hatte ihr Hoffnungen gemacht und sie dann ohne jede Erklärung im Regen stehen lassen. Ja, sie benahm sich wie eine Idiotin. Aber er war ein noch größerer Idiot.
In Gedanken versunken, merkte er gar nicht, dass die Rikscha bereits vor Dineshs Wohnblock angehalten hatte. Der Fahrer drehte sich zu ihm um und deutete mit ärgerlicher Miene auf den Zähler. Rasch reichte Thomas ihm die Scheine.
In der Wohnung seines Freundes angekommen, schenkte er sich ein Glas Brandy ein und nahm es mit hinaus auf die Veranda, wo er ans Geländer trat und in tiefen Zügen die salzige Luft einatmete, während er gleichzeitig über sein Leben nachdachte.
Irgendwann hatte er das Thema satt und ging in sein Zimmer, um sich schlafen zu legen. Während er sich auszog, lauschte er den Geräuschen Bombays, die durchs offene Fenster hereindrangen. Erschöpft ließ er sich auf die Matratze sinken und schloss die Augen. Als der Schlaf endlich kam, empfand er ihn als Wohltat und Erleichterung.
Am Montag sprach Thomas gleich nach der morgendlichen Teamsitzung bei Nigel McPhee vor. Seit dem Abend im White Orchid brannte ihm etwas unter den Nägeln, und nachdem Dinesh am Sonntagnachmittag mit einem Lächeln zurückgekehrt war, aus dem keinerlei Bedenken sprachen, hatte sich das noch verstärkt. Nun, da das Wochenende vorüber war, brauchte Thomas endlich eine Antwort.
McPhee forderte ihn mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. »Was kann ich für Sie tun?«
Thomas kam gleich zur Sache. »Ein Freund hat mich am Samstag ins White Orchid mitgenommen.«
»Ah«, meinte McPhee. »Darauf waren Sie wohl nicht vorbereitet.«
Thomas schüttelte den Kopf.
»Wie gesagt, die ganze Stadt ist ein Bordell.«
»Was mich zu meiner Frage bringt. Das White Orchid ist mir zunächst gar nicht vorgekommen wie ein Bordell, und die Mädchen sahen für mich auch nicht aus wie Sexsklavinnen.«
McPhee betrachtete ihn nachdenklich. »Wie sieht denn eine solche Sklavin Ihrer Meinung nach aus?«
»Keine Ahnung, aber es hatte zumindest den Anschein, als würden sich die betreffenden Mädchen freiwillig dort aufhalten.«
»Der Schein kann trügen.«
»Demnach handelte es sich also doch um Opfer von Menschenhandel?«
»So einfach ist das nicht. Die meisten von ihnen wurden in das Milieu hineingeboren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es sind Bedia -Mädchen. Die Frauen ihrer Kaste arbeiten schon seit Jahrhunderten als Prostituierte. Ich schätze mal, Ihnen ist nicht entgangen, dass es sich durchweg um äußerst attraktive Frauen handelt?«
Thomas nickte.
»Welches Blut in ihren Adern fließt, weiß kein Mensch, aber sie haben alle die gleiche Geschichte. Ihre Eltern erziehen sie speziell dafür. Sie bringen sie her, sobald sie Teenager sind, und geben sie in einem Tanzclub ab. Diese Mädchen werden nicht auf dieselbe Weise versklavt wie die Mädchen in den Bordellen unten im Süden. Sie leben allein und verfügen über eigenes Geld. Trotzdem kann man auch nicht sagen, dass sie frei sind. Sie kennen einfach nichts anderes.«
»Sind sich die Clubgäste darüber im Klaren?«
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