Du bist nie allein
stets fröhlich und aufgekratzt, zudem hatte sie die Neigung, im Salon ihre Visitenkarten zu verteilen. Aber sie war auch ein bisschen wirr. Wenn sie aufgeregt war, also nahezu immer, schien sie kaum etwas mitzubekommen. Während ihr Gegenüber längst bei etwas Neuem war, plapperte Edna unbeirrt weiter über das vorige Thema. Julie fand das ziemlich nervig, aber glücklicherweise traf es ja Mabel und nicht sie.
Singers Schwanz wedelte hoffnungsvoll.
Julie sah noch einmal die Straße hoch. Nichts.
Ob Richard meilenweit zu Fuß lief, auf gut Glück, in der Hoffnung, sie führte ihren Hund aus?
Nein, entschied sie, auf keinen Fall. Außerdem war Singer bei ihr, und er war beileibe kein Chihuahua. Beim kleinsten Mucks von ihr würde er angerast kommen wie ein Samurai, der rot sieht.
Dennoch flößte der Wald ihr nun Angst ein. Er bot zahllose Verstecke. Von überall konnte man beobachtet werden. Richard konnte ohne weiteres hinter einem Baum lauern und sich, sobald sie an ihm vorbei war, von hinten anschleichen – sie hörte schon das Knacken der Zweige unter seinen Füßen…
Julie spürte, wie die Panik in ihr aufstieg, und bemühte sich, sie zu verdrängen. Es konnte nichts passieren, beruhigte sie sich. Nicht, wenn Singer dabei und Edna irgendwo in der Nähe war.
Singer bellte, um sich abermals bemerkbar zu machen.
Und?
»Okay«, sagte Julie endlich. »Aber lange können wir nicht bleiben. Es sieht nach einem Gewitter aus.« Doch Singer hatte sich längst umgedreht und war in den Wald gerannt, wo er zwischen den Bäumen verschwand.
Erst nach fünf Minuten wurde Julie bewusst, dass sie dauernd vor sich hin flüsterte.
»Nichts wird passieren«, murmelte sie. »Hier draußen bin ich sicher.«
Doch es nutzte nichts. Julie sah Richard hinter jedem Baum. Sie begann vor Panik zu keuchen.
So sah also ein erholsamer Waldspaziergang aus.
Julie rannte beinahe über den Pfad, immer wieder Äste aus dem Weg schlagend. Das Laub war dichter geworden, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, zumindest kam es ihr so vor. Da die Sonne schon tief stand und der Himmel bleigrau bewölkt war, wirkte der Wald ungewöhnlich düster.
Julie blieb stehen und horchte, doch bis auf das ferne Keckem einer Elster hörte sie nichts. Sie drehte sich um, spähte den Pfad entlang, sah nichts Ungewöhnliches. »Natürlich bin ich hier sicher«, flüsterte sie.
Im Moment sah sie Singer zwar nicht, aber er war da. Ich lasse ihn einfach noch etwas laufen, dachte sie, und in ein paar Minuten gehen wir nach Hause, und alles ist wieder normal. Könnte sein, dass ich ein Glas Wein brauche, aber ich bin schließlich auch nur ein Mensch. Hauptsache Singer hat seinen Spaß…
Von fern hörte sie Singer bellen, und prompt wurde ihr schwarz vor Augen.
»Singer! Komm her!«, rief sie. »Wir kehren um! Zeit, zu gehen!«
Sie wartete und lauschte, aber Singer kam nicht. Vielmehr bellte er noch einmal, aber nicht wütend. Es klang wie ein freundliches Begrüßungsbellen.
Julie machte einen Schritt in seine Richtung und blieb wieder stehen. Geh nicht, dachte sie. Doch dann vernahm sie einen anderen Laut. Eine Stimme. Jemand redete mit Singer, und Julie atmete auf, als sie die Stimme erkannte. Edna Farley…
Sie marschierte los, den gewundenen Pfad entlang, bis der Intracoastal Waterway in Sichtweite kam. Hier lichtete sich der Wald, und Julie erblickte Edna. Sie tätschelte Singer den Kopf, während er hechelnd dasaß. Als er Julie kommen hörte, wandte er den Kopf.
Das lass ich mir gefallen,
schien er zu sagen.
Ein bisschen Auslauf, ein bisschen Liebe… Was will ein Hund mehr?
Auch Edna hatte sich umgedreht.
»Julie!«, rief sie. »Ich dachte mir schon, dass Sie bald auftauchen. Wie geht’s?«
Julie trat auf sie zu. »Hallo, Edna. Prima. Wir gehen gerade ein bisschen spazieren.«
»Ist ja auch herrliches Wetter. Oder war es zumindest noch, als wir herkamen. Aber jetzt sieht es ganz so aus, als würde es bald regnen.«
»Wir?«, fragte Julie.
»Ja, mein Kunde besichtigt gerade ein paar der abgelegeneren Grundstücke. Die sind schon länger auf dem Markt, aber er scheint ziemlich interessiert zu sein, also drücken Sie mir die Daumen.«
Während sie sprach, erhob sich Singer unvermittelt und stellte sich mit gesträubtem Nackenfell neben Julie. Er fing an zu knurren. Mit klopfendem Herzen schaute Julie in die Richtung, in die Singer starrte. Ihr stockte der Atem. Hinter ihr plapperte Edna weiter.
»Ach, da ist er ja«, sagte sie
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