Du bist nie allein
muss?«
»Im Moment jedenfalls nicht. Sorgen würde ich mir an Ihrer Stelle höchstens wegen Richard Franklin machen.«
Sides beugte sich mit ernstem Gesicht vor. »Was ich Ihnen jetzt sage, bleibt unter uns, okay? Und ich sage es Ihnen auch nur, weil Sie ein anständiger Kerl zu sein scheinen.«
Nach kurzem Zögern nickte Mike.
»Die Polizei arbeitet zuverlässig, wenn es um Einbruch oder Mord geht. Dafür wurde das System eingerichtet – um Gesetzesbrecher zu schnappen. Doch selbst mithilfe der neuen Gesetze gegen Belästigung kann die Polizei nichts Richtiges unternehmen, falls jemand Sie ins Visier nimmt und gleichzeitig darauf achtet, keine Spuren zu hinterlassen. Wenn einer es darauf abgesehen hat, Ihnen Schaden zuzufügen, stehen Sie ziemlich allein da. Also werden Sie sich selbst darum kümmern müssen.«
»Sie meinen also, Richard Franklin will Julie womöglich Schaden zufügen?«
»Das ist nicht die richtige Frage. Die Frage ist, ob Sie das glauben? Falls ja, müssen Sie bereit sein. Denn wenn Franklin es geschickt anstellt, wird Ihnen niemand helfen können.«
Nach dieser Unterredung war Mike mulmig zumute. Sides war zweifellos ein intelligenter Mann, und seine Warnung versetzte Mikes Erleichterung über die rechtliche Lage einen Dämpfer.
Mike blieb an seinem Pickup stehen und rief sich noch einmal Richards Gesicht im Clipper vor Augen. Als er sich das Grinsen vergegenwärtigte, wusste er, dass Richard nicht aufgeben würde.
Im Gegenteil, er fing gerade erst an.
Beim Einsteigen hörte Mike wieder Sides’ Stimme.
Niemand wird Ihnen helfen können.
Abends versuchten sich Mike und Julie so normal wie möglich zu verhalten. Auf dem Heimweg aßen sie eine Pizza und schauten sich dann zu Hause einen Film an, doch sobald ein Auto die Straße entlangkam, saßen sie beide starr vor Schreck da, bis es vorbeigefahren war. Sie hatten die Vorhänge zugezogen und ließen Singer nicht nach draußen. Und sogar er ließ sich von ihrer Unruhe anstecken. Er streifte durchs Haus, als sei er auf Patrouille, ohne einen Laut von sich zu geben. Selbst wenn er die Augen schloss, um zu dösen, blieb ein Ohr wachsam aufgestellt.
Ungewöhnlich an dem Abend war nur, dass er so ruhig verlief. Wegen der geänderten Nummer blieb das Telefon stumm. Julie hatte entschieden, die Nummer zunächst nur einem kleinen Kreis von Menschen anzuvertrauen, und Mabel gebeten, sie nicht an Kundinnen weiterzugeben. Wenn Richard nicht mehr durchkommt, dachte sie, kapiert er es vielleicht endlich.
Julie rutschte unruhig auf dem Sofa herum. Vielleicht. Nach dem Film hatte sie Mike auf sein Treffen mit dem Anwalt angesprochen, worauf Mike Sides’ Worte wiedergab – das heißt, seine Ansicht, Mike hätte keinen besonderen Grund zur Sorge. Julie schloss jedoch aus seinem Benehmen, dass Sides noch einiges mehr gesagt hatte.
Am anderen Ende der Stadt neigte sich Richard in seiner Dunkelkammer über die Entwicklerwanne und verfolgte mit vor Eifer gerötetem Gesicht, wie die Figur auf dem Fotopapier allmählich Gestalt annahm. Der Vorgang erschien ihm immer noch wie ein Rätsel – Gespenster und Schatten, die dunkler wurden, real wurden. Zu Julie wurden.
Ihre Augen glänzten ihm aus dem flachen Behältnis entgegen.
Immer wieder kehrte Richard zur Fotografie zurück, der einzigen Konstante in seinem Leben. Wenn er sich in die Schönheit des Wechselspiels von Licht und Schatten auf den Bildern vertiefte, spürte er neue Entschlusskraft, die Gewissheit, sein Schicksal selbst bestimmen zu können.
Die Erinnerung an den Samstagabend amüsierte ihn immer noch. Julies Fantasie spielte gewiss inzwischen verrückt. Genau jetzt fragte sie sich wahrscheinlich, wo er war, was er dachte, was er als Nächstes tun würde. Als wäre er eine Art Ungeheuer, ein Schreckgespenst kindlicher Albträume! Er lachte auf. Wie konnte etwas so Schreckliches ihm nur ein solches Wohlgefühl bereiten?
Und Mike, der durch die Kneipe gestürmt kam wie ein Kavallerist! Absolut vorhersagbar. In dem Moment hätte er auch fast gelacht. Dieser Kerl stellte keine Herausforderung dar. Julie dagegen…
So gefühlvoll. So tapfer.
So
lebendig.
Bei eingehender Betrachtung des Fotos fielen ihm erneut die Ähnlichkeiten zwischen Julie und Jessica auf. Die gleichen Augen. Das gleiche Haar. Die gleiche unschuldige Ausstrahlung. Als er das erste Mal den Salon betreten hatte, war ihm sofort durch den Kopf gegangen, dass sie Schwestern sein könnten.
Richard schüttelte den Kopf,
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