Du bist nie allein
war intelligent (und sah, wie Mike einräumen musste, gut aus, jedenfalls, wenn man auf hagere Sportlertypen stand), und im Gegensatz zu Mike hatte er studiert und war schon weit herumgekommen. Er lachte und scherzte nicht viel – Henrys und Emmas Spaße fanden bei ihm wenig Anklang –, doch seine Befangenheit schien eher auf Schüchternheit als auf Arroganz zu beruhen. Und seine Gefühle für Julie waren nicht zu übersehen. Wenn sie etwas sagte, behielt er sie unverwandt im Auge, er wirkte ganz wie eine Ehemann, der am ersten Morgen der Flitterwochen aufwacht.
Mike lächelte und nickte unablässig, dabei hasste er Richard aus tiefstem Herzen.
Wenig später – Emma und Julie tauschten sich gerade über den neuesten Klatsch aus – leerte Richard sein Glas. Nachdem er Julie gefragt hatte, ob sie noch etwas zu trinken haben wollte, stand er auf, um zur Theke zu gehen. Als Henry fragte, ob es ihm etwas ausmachen würde, noch ein paar Bier mitzubringen, erhob sich Mike ebenfalls und bot an, Richard zu begleiten.
»Ich helfe Ihnen tragen.«
An der Theke gab ihnen der Barkeeper ein Zeichen, sich kurz zu gedulden. Richard zog seine Brieftasche heraus, und obwohl Mike direkt neben ihm stand, schwieg er beharrlich.
»Sie ist eine tolle Frau«, brach Mike endlich das Schweigen.
Richard wandte sich um, musterte ihn kurz, dann wandte er sich wieder ab.
»Ja, das ist sie«, sagte er nur.
Damit war das Gespräch beendet.
Zurück am Tisch, fragte Richard Julie, ob sie Lust hätte zu tanzen, und weg waren die beiden.
»Na, das war doch gar nicht so schwer, oder?«, fragte Emma.
Mike zuckte nur die Achseln, ihm war nicht nach Reden zumute.
»Und er wirkt eigentlich ganz nett«, fügte Henry hinzu. »Ein bisschen ruhig, aber höflich.«
Mike griff nach seinem Bier. »Mir hat er nicht gefallen«, sagte er.
»Ach, so eine Überraschung«, sagte Henry lachend.
»Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann.«
Henry grinste immer noch. »Tja, da du deine Gelegenheit bisher verpasst hast, müssen wir wohl noch ein wenig bleiben.«
»Welche Gelegenheit?«
»Du hast gesagt, du wolltest Julie heute Abend um ein Date bitten.«
»Halt die Klappe, Henry.«
Etwas später trommelte Mike mit den Fingern auf dem Tisch herum. Henry und Emma begrüßten gerade ein anderes Pärchen, und Mike nutzte die Zeit, sich zu überlegen, was genau ihm an Richard Franklin nicht gefiel.
Vom Hauptgrund einmal abgesehen.
Nein, da war noch mehr. Auch wenn Henry ihn nett fand, und Julie natürlich sowieso, Mike war da anderer Meinung. Nach seiner Bemerkung über Julie hatte Richard ihn angesehen, als durchschaue er Mikes Gefühle für sie, und seine Miene hatte deutlich ausgedrückt, was er davon hielt:
Du hast keine Chance, also halt dich fern.
Nicht unbedingt das, was man von einem
netten
Kerl erwarten würde.
Warum nahm Julie diese unangenehme Seite an Richard nicht wahr? Oder bildete er sich das Ganze nur ein?
Mike ließ die Szene noch einmal Revue passieren. Nein, entschied er schließlich, das habe ich mir nicht nur eingebildet. Ich weiß, was ich gesehen habe. Und ich mag ihn nicht.
Er lehnte sich zurück, atmete tief durch und ließ den Blick umherschweifen, bis er Richard und Julie entdeckte. Einen Augenblick lang beobachtete er sie, dann zwang er sich wegzusehen.
Da die Band Pause machte, hatten Julie und Richard die Tanzfläche verlassen und sich an einen kleineren Tisch am hinteren Ende der Theke gesetzt. Mike schaute immer wieder in ihre Richtung. Er war machtlos dagegen. Er tat es, um aus Richard schlau zu werden, versuchte er sich einzureden, dabei war ihm klar, dass es im Grunde reiner Voyeurismus war.
Im Laufe des Abends kam er zu dem Schluss, dass seine Chancen bei Julie allmählich ins Bodenlose sanken. Während Mike allein dasaß, sahen Julie und Richard sich tief in die Augen und grinsten dämlich. Sie steckten die Köpfe zusammen, flüsterten und lachten und hatten offenbar jede Menge Spaß.
Widerlich.
Und was taten sie jetzt?
Langsam, ganz verstohlen, gingen Mikes Augen erneut auf Wanderschaft. Julie saß mit dem Rücken zu ihm, zum Glück bekam sie also nicht mit, wie er sie beobachtete.
Julie senkte den Blick und kramte in ihrer Handtasche.
Richards Augen dagegen begegneten Mikes Blick mit kühler, fast selbstgewisser Herablassung,
ja, Mike, ich weiß, dass du hergaffst.
Mike erstarrte, wie ein Kind, das beim heimlichen Griff ins Portemonnaie der Mutter ertappt wird.
Zu gern hätte er sich umgedreht, schien
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