Du bist nie allein
genauer zu taxieren. »Mit dir macht so was Spaß, weißt du das?«
»Weil ich so leicht aufzuziehen bin?«
»Nein, weil du so gutmütig mitmachst.«
Mike gab sich angelegentlich Mühe, etwas Schmiere unter seinen Nägeln hervorzuschaben. »Ist ja komisch«, sagte er.
»Was denn?«
»Andrea hat kürzlich genau dasselbe zu mir gesagt.«
»Andrea?«, wiederholte Julie und glaubte, sich verhört zu haben.
»Ja, letztes Wochenende. Als wir zusammen aus waren. Da fällt mir ein – ich muss sie in ein paar Minuten abholen.«
Mike sah erst auf die Uhr, dann zu seinem Spind.
»Aber… moment mal… Andrea?«
Julie konnte ihre Verblüffung nicht verbergen.
»Ja – sie ist toll. Wir hatten viel Spaß. Aber hör mal, ich hab’s eilig…«
Julie nahm ihn am Arm. »Aber…«, stammelte sie erneut. »Du und Andrea?«
Mike sah sie einige Sekunden lang todernst an, dann zwinkerte er. »Hätte ich dich fast reingelegt, was?«
Julie verschränkte die Arme. »Nein«, fauchte sie.
»Na komm, ein bisschen schon.«
»Nein.«
»Gib’s zu.«
»Also gut. Ich geb’s zu.«
Mike schaute sie zufrieden an. »Gut. Jetzt sind wir quitt.«
Kapitel 11
J ulie ließ die Salontür hinter sich zufallen, noch ganz beschwingt von ihrem Plausch mit Mike. Mabel schaute vom Schreibtisch hoch.
»Wolltest du dich heute Abend mit Richard treffen?«, fragte sie.
»Nein. Wieso?«
»Er war da und hat nach dir gefragt. Hast du ihn nicht gesehen?«
»Ich war drüben bei Mike in der Werkstatt.«
»Du hast Richard auf dem Rückweg nicht gesehen?«
»Nein.«
»Ist ja komisch«, sagte sie. »Du hättest ihn doch auf der Straße treffen müssen! Er ist erst vor ein paar Minuten weg, und ich dachte, er wollte dich suchen.«
Julie schaute zur Tür. »Hat er gesagt, was er wollte?«
»Eigentlich nicht. Nur, dass er dich suchte. Wenn du dich beeilst, erwischst du ihn vielleicht noch.«
Mabel schaltete den Anrufbeantworter ein und räumte weiter ihren Schreibtisch auf. Julie überlegte, ob sie gehen sollte oder nicht. Der Augenblick verstrich – womit die Entscheidung gefallen war.
»Ich weiß nicht, wie es dir geht«, sagte Mabel, »aber ich bin erledigt. Heute hatte wirklich jede Kundin, mit der ich zu tun hatte, etwas zu meckern. Wenn es nicht um ihre Haare ging, dann um die Kinder oder die Männer oder den neuen Pfarrer oder bellende Hunde oder darum, was für Rowdys die Autofahrer aus dem Norden doch sind. Manchmal möchte man sie einfach fragen, ob es nichts Wichtigeres gibt. Weißt du, was ich meine?«
Julie dachte noch über Richard nach.
»Muss wohl Vollmond sein«, murmelte sie. »Heute waren alle ein bisschen daneben.«
»Mike auch?«
»Nein, Mike nicht.«
Julie winkte erleichtert ab. »Mike ist immer ausgeglichen.«
Mabel zog die unterste Schublade des Schreibtischs auf und holte einen Flachmann heraus. »Tja, höchste Zeit, einen klaren Kopf zu kriegen«, verkündete sie. »Auch einen?«
Mabel genehmigte sich regelmäßig einen Schluck, um einen »klaren Kopf« zu bekommen, und Julie kannte in der Tat kaum jemanden, der so klar im Kopf war wie sie.
»Ja, gern. Ich schließ nur schnell ab.«
Mabel holte zwei Plastikgläschen aus der Schublade und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Als Julie sich zu ihr gesellte, hatte Mabel schon ihre Schuhe abgestreift, die Füße auf den Tisch gelegt und sich ein Schlückchen genehmigt. Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt, fast so, als wähnte sie sich in einem Liegestuhl an einem fernen Strand.
»Und, was treibt Mike so?«, fragte sie schließlich, ohne die Augen zu öffnen. »Hat sich hier ja länger nicht blicken lassen.«
»Nichts Weltbewegendes. Arbeiten, sich mit Henry kabbeln, das Übliche. Sonst nicht viel.«
Julie hielt inne, und ihr Gesicht hellte sich auf. »Oh, hast du schon gehört, dass er in ein paar Wochen im Clipper spielt?«
»Oh… hurra.«
Es klang wenig begeistert.
Julie lachte. »Sei nicht so gemein. Und außerdem ist es diesmal auch eine ganz gute Band.«
»Wird auch nichts nutzen.«
»So schlecht ist er gar nicht.«
Mabel lächelte und setzte sich aufrecht hin. »Ach, Schätzchen, ich weiß, er ist dein Freund, aber für mich gehört er fast zur Familie. Ich hab ihn schon in Windeln rumkrabbeln sehen, und glaub mir: Er spielt schlecht. Ich weiß, dass ihn das wahnsinnig macht, weil es immer sein größter Ehrgeiz war, Musiker zu sein. Aber wie steht schon in der Bibel zu lesen? ›Duldet nicht die schrecklichen Sänger,
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