Du bist nie allein
nicht ein Wort mit ihm gewechselt.«
»Stimmt. Das hat Jim mir am nächsten Tag erzählt.«
»Wirklich?«
»Und außerdem hatte er uns im Voraus gewarnt, dass du nicht viel sagen würdest. Er sagte, du wärst ein bisschen schüchtern.«
»Nein!«
»Er hat dich als mäuschenhaft bezeichnet.«
Julie lachte. »Ich hab ja schon einiges über mich gehört, aber mäuschenhaft – das ist mir neu.«
»Nun, ich glaube, das hat er nur gesagt, damit wir dir eine Chance geben. Obwohl das wirklich nicht nötig war. Uns hat eigentlich schon genügt, dass er und Mabel dich mochten.«
Julie blieb lange still. »Manchmal kann ich immer noch kaum glauben, dass ich hier bin«, sagte sie schließlich. »Wieso?«
»Weil sich alles so zufällig ergeben hat. Ehe Jim es erwähnte, hatte ich noch nie von Swansboro gehört, und jetzt, zwölf Jahre später, lebe ich immer noch hier.«
Mike sah sie über seine Flasche hinweg an. »Klingt ja fast, als würdest du es bedauern.«
Julie schlug ein Bein über das andere. »Nein, überhaupt nicht. Mir gefällt es hier. Nach Jims Tod hab ich für ein Weilchen mit dem Gedanken gespielt, irgendwo anders neu anzufangen, aber wo sollte ich hin? Ich bin zum Beispiel nicht gerade wild darauf, wieder bei meiner Mutter zu leben.«
»Hast du in letzter Zeit mal mit ihr gesprochen?«
»Schon seit ein paar Monaten nicht mehr. Sie hat zu Weihnachten angerufen und gesagt, sie würde mich gern mal besuchen kommen, aber seither hab ich nichts mehr von ihr gehört. Ich glaube übrigens, das hat sie nur gesagt, damit ich ihr das Geld für den Flug schicke. Aber eigentlich will ich sie gar nicht sehen. Es würde nur alte Wunden aufreißen.«
»Das alles muss ganz schön hart für dich sein.«
»Manchmal schon. Zumindest war es früher hart. Aber heute denke ich bewusst nicht mehr viel darüber nach. Damals, als ich mit Jim zusammenlebte, hätte ich mich gern bei ihr gemeldet, und sei es nur, um ihr zu sagen, dass bei mir alles gut lief. Als ob ich unbedingt ihren Segen hätte haben wollen. Seltsam… Nun, meine Mutter kam nicht zur Hochzeit, sie kam nicht zu Jims Beerdigung. Danach habe ich es mehr oder weniger aufgegeben. Also, ich bin nicht unhöflich, wenn sie anruft, aber ebenso gut könnte ich mit einer Fremden reden.«
Während sie sprach, sah Mike zu den dunklen Umrissen der Bäume hinüber. Kleine Fledermäuse schwirrten dort so rasch hin und her, dass man sie kaum wahrnahm. Mike sagte langsam: »Henry macht mich zwar manchmal fast wahnsinnig, und meine Eltern sind genauso nervig wie er, aber es tut doch gut zu wissen, dass es sie gibt. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie täte. Ich weiß nicht, ob ich es allein schaffen würde, so wie du.«
Julie sah ihn an. »Klar würdest du’s schaffen. Außerdem bin ich ja nicht ganz allein. Ich habe Singer, und ich habe meine Freunde. Das ist doch schon viel.«
Mike hätte gern gefragt, welche Rolle Richard dabei zukam, hielt aber den Mund. Er wollte die Stimmung nicht verderben.
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagte Julie.
»Klar.«
»Warum ist eigentlich deine Beziehung zu Sarah in die Brüche gegangen? Ich dachte, ihr zwei hattet was Besonderes laufen, und dann, ganz plötzlich, wart ihr auseinander.«
Mike rutschte verlegen auf dem Stuhl hin und her. »Ach, weißt du…«
»Nein, ich weiß nichts. Du hast mir nie erzählt, warum es zu Ende gegangen ist.«
»Da gab’s nicht viel zu erzählen.«
»Das sagst du immer. Also, was ist damals passiert?«
Mike schwieg für eine ganze Weile und schüttelte dann den Kopf. »Das willst du gar nicht wissen.«
»Was hat sie getan? Hat sie dich betrogen?«
Als Mike darauf nicht antwortete, wusste Julie, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Oh, Mike, das tut mir Leid.«
»Ja, mir auch. Zu der Zeit jedenfalls. Sie kannte den Typen von der Arbeit. Als ich eines Morgens bei ihr vorbeiging, stand sein Auto vor ihrem Haus.«
»Wie hast du reagiert?«
»Ich war natürlich wütend. Aber die Schuld lag ehrlich gesagt nicht nur bei ihr. Ich war nicht gerade der aufmerksamste Freund. Sie kam sich wohl vernachlässigt vor.«
Er seufzte und rieb sich übers Gesicht. »Irgendwie habe ich wohl geahnt, dass die Beziehung nicht halten würde, also habe ich mir keine Mühe mehr gegeben. Und dann musste so etwas ja einfach passieren.«
Einen Moment lang blieb es still, dann deutete Julie auf Mikes fast leere Flasche.
»Möchtest du noch eins?«
»Gern«, sagte er.
»Kommt sofort.«
Julie stand auf, und
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