Du bist nie allein
vergessen.
Er war hier.
Er war ihr gefolgt.
Schon wieder.
Mike hatte Richard schon eine Minute zuvor hereinkommen sehen und wäre am liebsten von der Bühne gesprungen, um ihn aufzuhalten. Er zwang sich aber, weiterzuspielen.
Richard hatte Mike auch gesehen. Grinsend nickte er ihm zu und steuerte dann auf die Mitte der Theke zu, als bemerke er Julies Anwesenheit gar nicht.
Adrenalin schoss Mike durch die Adern. Eine falsche Bewegung, und ich ramm dir die Gitarre in den Bauch, fluchte er innerlich.
Julie sah Richard, spürte ihn, es war ein Gefühl wie ein aufdringlicher fremder Atem in einem überfüllten Aufzug.
Richard tat nichts. Er sah weder in ihre Richtung noch kam er auf sie zu. Er stand mit dem Rücken zur Theke da, blickte zur Bühne und unterschied sich in nichts von den anderen anwesenden Männern. Als glaubte er wirklich, sie würde das Ganze für Zufall halten.
Du elender Kerl, dachte Julie. Du machst mir keine Angst.
Die Band begann ein neues Stück, und Julie sah zu Mike hinüber. Er wirkte angespannt, seine Augen funkelten warnend.
Bin fast fertig,
gab er ihr per Lippensprache zu verstehen. Sie nickte und verspürte das plötzliche Bedürfnis nach einem Drink. Etwas Starkes, das man in einem Zug hinunterkippte.
Durch das Schummerlicht, das in der Kneipe herrschte, lag Richards Profil im Schatten. Er schlug ein Bein übers andere, und Julie glaubte kurz, ein belustigtes Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen. Als wüsste er, dass sie ihn beobachtete. Sie merkte, dass ihr Mund trocken wurde.
Ich sollte mir nichts vormachen, dachte sie. Er jagt mir eine Höllenangst ein.
Und das musste aufhören.
Julie wüsste nicht, woher sie den Mut nahm, aber sie stand auf und ging auf ihn zu. Als sie fast bei ihm angekommen war, drehte sich Richard um. Seine Miene hellte sich auf, als sei er angenehm überrascht, sie zu sehen.
»Julie«, sagte er, »ich wüsste ja gar nicht, dass du hier bist. Wie geht’s?«
»Was machst du hier, Richard?«
Er zuckte die Achseln. »Wollte nur was trinken.«
»Lass den Scheiß, ja?«
Sie sagte es so laut, dass sich einige Umstehende umdrehten.
»Wie bitte?«, fragte er.
»Du weißt genau, was ich meine!«
»Nein, ich hab keine…«
»Du bist mir hierher gefolgt!«
»Was?«
Mittlerweile hatten sich noch mehr Gäste zu ihnen umgewandt. Von der Bühne schaute Mike mit wildem Blick herüber, und sobald der Song zu Ende war, stellte er die Gitarre beiseite und kam schnurstracks auf sie zu.
»Glaubst du, du kannst mir überallhin folgen und ich lasse mir das einfach so bieten?«
Julies Stimme überschlug sich fast.
Richard erhob abwehrend die Hände. »Julie… Halt! Moment! Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Du hast dir die Falsche ausgesucht! Mir kannst du keine Angst einjagen, und falls du nicht damit aufhörst, ruf ich die Polizei und erwirke eine Unterlassungsverfügung. Ich lass dich einsperren! Meinst du, du kannst ständig bei mir anrufen und Nachrichten hinterlassen…«
»Ich habe dir keine Nachrichten hinterlassen…«
Julie schrie inzwischen, und die Umstehenden sahen von ihr zu Richard und wieder zurück zu ihr. Ein Halbkreis hatte sich um sie gebildet, und alle waren wie in Erwartung von Handgreiflichkeiten einen Schritt zurückgetreten.
Julie war inzwischen voll in Fahrt. Ihre Fantasie in die Tat umzusetzen war noch besser, als sie gedacht hatte. (
Ja! Gib’s ihm, Mädchen!)
»Meinst du, ich hätte heute Nachmittag nicht gemerkt, wie du mich beobachtest?«
Richard trat einen Schritt zurück. »Ich sehe dich heute zum ersten Mal. Ich war den ganzen Tag auf der Baustelle.«
Julie war so außer sich, dass sie seine Beteuerungen gar nicht wahrnahm.
»Ich lass mir das nicht gefallen!«
»Was denn?«
»Hör einfach auf damit! Ich will, dass du aufhörst!«
Richard sah in die Gesichter ringsum und zuckte um Mitgefühl heischend mit den Schultern.
»Hör mal – ich weiß nicht, was das alles soll, aber vielleicht gehe ich einfach besser…«
»Es ist aus! Hast du das verstanden?!«
In dem Moment kam Mike bei ihnen an. Julie war zwar hochrot im Gesicht vor Zorn, aber Mike konnte sich vorstellen, welche Ängste sie ausstand. Richard warf Mike einen raschen Blick zu, und wie zuvor beim Reinkommen huschte ein Grinsen über Richards Gesicht – höhnisch, herausfordernd, provozierend.
Das genügte.
Mike stürzte auf Richard los, rammte ihm den Kopf in die Brust wie ein Footballspieler beim Tackling. Die Wucht des Aufpralls hob
Weitere Kostenlose Bücher