Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
es das auf eigenen Wegen, mit eigenen Mitteln, mit eigenen Ideen getan hat, dann hat das Kind eine gute Erfahrung gemacht. Und diese Erfahrung, eine Lösung eigenständig zu finden, wird bleiben und nicht wieder vergessen werden.
Beim autonomen, vom Lehrer begleiteten Lernen ist die traditionelle pädagogische Hierarchie aufgehoben. Der Lehrer steht hier nicht vor einer Klasse und soll dreißig vollkommen unterschiedliche Schüler dazu bringen, im gleichen Tempo dasselbe mit denselben Methoden zu lernen (wodurch er notwendigerweise in Stress gerät, sodass ein Druck entsteht, der sich im ungünstigsten Fall auf die Schüler überträgt). Stattdessen stehen die Lehrer den Schülern als Ansprechpartner zur Verfügung, die hier »Lernbegleiter« genannt werden, so wie die Schüler »Lernpartner« heißen.
Die Lernbegleiter treffen mit den Lernpartnern Bildungsvereinbarungen, in denen sie sich über die Erreichung von Lernzielen verständigen, die den staatlichen Vorgaben entsprechen. Das Entscheidende ist, dass die Leistungsmöglichkeiten und -geschwindigkeiten und die individuellen Fähigkeiten eines jeden Schülers dabei berücksichtigt werden. Jeder Schüler bekommt einmal in der Woche einen »Leistungsauszug«, aus dem er ersehen kann, was er geschafft hat und ob er die Ziele, die er sich vorgenommen hat, erreicht hat. Auch werden Noten vergeben. Es geht also durchaus auch um Leistung und darum, die Leistung zu bewerten. Die Haltung zu Kindern und zum Lernen markiert hier deutlich den Unterschied zum staatlichen System.
Ich habe schon einige Gespräche mit Peter Fratton geführt und bin immer wieder fasziniert von seinen Ideen und Erfahrungen. Eines dieser Gespräche soll Eingang in dieses Buch finden.
Ein Gespräch mit Peter Fratton über das Konzept des Autonomen Lernens
Katharina Saalfrank: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Kinder komplett untergehen in dieser Welt. Es geht bei uns oft nur noch um Organisation und kaum noch um die Frage: Wie geht es den Kindern, und wie lernen sie eigentlich am besten?
Peter Fratton: Das sehe ich genauso. Dabei ist es im Grunde so einfach. Wenn es mir gelingt, wirklich eine Beziehung aufzubauen – das ist meine Erfahrung –, dann brauche ich ganz wenig Pädagogik. Einfach dadurch, dass ich in Beziehung trete, merke ich, wie es dem anderen geht. Und der andere merkt, wie es mir geht. Oder anders ausgedrückt: Ich brauche dich, um zu merken, dass ich ich bin. Wenn wir das spüren, schaffen wir eine entspannte Umgebung, eine geeignete Lernatmosphäre.
Katharina Saalfrank: Und wenn ich dich nicht habe, dann kann ich mich nicht spiegeln. Auch dafür brauchen wir Beziehung. Wie kommt man denn von dieser Erkenntnis zur Idee des Autonomen Lernens?
Peter Fratton: Einen Grund zum Lernen habe ich erst, wenn ich ein Problem lösen muss. Ein Problem ist in diesem Sinne lebensimmanent. Wir sagen hier bei uns – und das ist eines unserer Axiome: Lernen ist eine Existenzform. Das heißt, der Mensch ist ein lernendes Wesen, er kann gar nicht anders. Er lernt immer – vielleicht nicht das, was Eltern oder Lehrer wünschen. Aber wir lernen das meiste, ohne es zu merken. Und wenn wir ein Problem haben, das wir lösen wollen, dann lernen wir besonders intensiv. Etwa 80 Prozent dessen, was wir können, haben wir informell gelernt, also nicht in der Schule. Das ganze Leben besteht daraus, Probleme zu lösen, Strategien zu finden, mit den Dingen umzugehen – das ist Leben.
Und das Schöne ist: Wenn mir etwas gelingt, wenn ich ein Problem gelöst habe – wie ein Rätsel –, dann empfinde ich Freude, Befriedigung, habe Erfolgsgefühle. Auf dieser Basis »geschieht« Lernen, sogar schulisches Lernen.
Katharina Saalfrank: Warum findet das in der schulischen Realität im staatlichen System so nicht statt?
Peter Fratton: Das liegt unter anderem daran, dass in der herkömmlichen staatlichen Lehrerausbildung ein riesiger Wert auf die Fachdidaktik gelegt wird und die Beziehung überhaupt keine Rolle spielt. Sie ist entweder nicht wichtig oder wird vorausgesetzt. Wenn aber in der Lehrerausbildung kein Wert auf Beziehung gelegt wird, wenn die Referendare kaum eine Beziehung zu ihrem Dozenten haben (weil es um die Erreichung von Credits statt um Problemlöseverhalten geht), wie sollen sie dann mit ihren Schülern eine gute Beziehung führen?
Katharina Saalfrank: Ist also Ihrer Erfahrung nach im staatlichen Schulsystem gar keine gute Lehrer-Schüler-Beziehung möglich?
Peter Fratton:
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